Sozialisation: Weiblich - männlich?
wir die Sprache vorerst als Beispiel gelten: ihre Reproduktion, die zugleich schöpferische und konventionsgebundene Entwicklung bei jedem einzelnen Kind, ist sowohl Voraussetzung des Bewußtseins, wie auch kollektiver Prozeß. Die Zweigeschlechtlichkeit ist in jeder Gesellschaft ein symbolisches System, das mit den ökonomischen und politischen Verhältnissen zutiefst verwoben, aber keineswegs identisch ist. Die Macht dieses Systems führt dazu, um kurz vorzugreifen, daß weniger privilegierte Mädchen sich stärker an den normativen Geschlechterbestimmungen orientieren, daher aber auch als „rückständig“ oder emanzipationsfeindlich denunziert werden können.
Eine Übersicht über das derzeitige Marktangebot an Sozialisationstheorien soll hier nicht erfolgen. Zur Orientierung sei gesagt, daß ich besonders von theoretischen Arbeiten mit folgenden Ansätzen angeregt wurde: symbolische Anthropologie (beeinflußt durch, aber keineswegs zu reduzieren auf den Strukturalismus); der ethnomethodologische Zugang zu Erhellung von Alltagswissen; psychoanalytische Gedankengänge; und neuere marxistische Theorien der kulturellen Reproduktion. Eine derartige kursorische Auflistung kann nicht anders als eklektizistisch wirken, denn keine der genannten theoretischen Schulen hat aus sich heraus eine zureichende Theorie der Geschlechterbeziehungen und des weiblichen Sozialcharakters entfaltet. Auch haben Versuche, streng im Rahmen einer solchen, zunächst ohne die Frauen erdachten Theorie durch Vertiefung und Ergänzung die Geschlechterbeziehungen zu erklären, wie etwa Juliet Mitchell es mit der Psychoanalyse versucht hat, sich als Irrwege erwiesen. Die Entfaltung einer Theorie aus der Sicht der Frauen ist notwendigerweise ein längerer und schulenübergreifender Prozeß. Aus der bisherigen Theoriegeschichte zu plündern, muß jedoch keineswegs eklektizistisch sein, denn die Kriterien einer angemessenen Entsprechung zwischen Methode und Gegenstand müssen eher noch strenger angewandt werden als alle bisherigen Theorien dies – zumindest wenn es um die Frauen ging versucht haben; und die Methode und innere Struktur der Theorien werden nicht nur mitbeachtet, sondern von neuen Seiten her beleuchtet. Die Möglichkeit einer Synthese unter den obengenannten Ansätzen begründet sich unter anderem damit, daß sie alle zwischen Denken und Fühlen, zwischen psychosexueller Entwicklung und kognitiven Leistungen
nicht
trennen (müssen); und daß sie die Eigengesetzlichkeit von Kultur bzw. von bewußten und unbewußten Vorgängen als symbolisches System in den Blick nehmen.
2. Die Zweigeschlechtlichkeit als kulturelles System und der Biologismus des Alltags
Um an die Wurzel der Geschlechterverhältnisse zu gelangen, müssen wir zunächst deren alltagstheoretische Grundannahme bewußt betrachten: daß die Existenz von zwei und nur zwei Geschlechtern eine Naturtatsache sei. Gelingt es uns, den eigenen kulturell geprägten Blick zumindest auszuklammern, können wir sehen, daß morphologisch ein Kontinuum zwischen weiblicher und männlicher Gestalt existiert, ein Kontinuum, das auch die Genitialien einschließt. Dieses Kontinuum in zwei eindeutig definierte, sich ausschließende Gruppen zu teilen, ist eine kulturelle Setzung. Zur Zeit gibt es Tendenzen, die Ärzteschaft auch hier mit Definitionsmacht auszustatten und das Chromosomengeschlecht als Trennungslinie zu setzen, so – allerdings nur für Frauen im internationalen Leistungssport. Es ist hier ein Vergleich mit der Einteilung der Menschheit in Rassen angebracht, eine uralte kulturelle Konstruktion, deren Künstlichkeit in den sozialen Konflikten des 20. Jahrhunderts etwa in den USA und in Deutschland unübersehbar wurde, gleichzeitig immer gewaltsamer geleugnet worden ist. Faktisch existiert ein Kontinuum sowohl in der Morphologie wie in der Abstammung, im Alltag wurde oder wird geglaubt, daß jeder Mensch der einen oder der anderen Rasse angehöre und daß dies ihm unmittelbar anzusehen sei. Dabei werden die an beiden Enden des Kontinuums erkennbaren Unterschiede intensiviert wahrgenommen, die Wahrnehmung wird aber wiederum von dem „Wissen“ um die Zugehörigkeit gelenkt. Wenn eine solche Theorie zugleich mit politischen und ökonomischen Machtkonflikten verwoben ist, kann sie enorm resistent gegen widersprechende Erfahrungen sein. Sie wird zur Natur gemacht. 8
Haben die Arbeiten von Margaret Mead in den 30er Jahren die kulturelle Relativität der weiblichen und
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