Sozialisation: Weiblich - männlich?
männlichen „Eigenschaften“ angezeigt, so markiert wiederum eine Bemerkung von Mead vor 20 Jahren den Beginn einer ernsthaften Reflexion über die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit selbst. 1961 bemerkte Mead, daß nicht wenige Gesellschaften mehr als zwei Möglichkeiten der Geschlechtszugehörigkeit kennen, und
Martin/Voorhies
(1974) widmeten ein ganzes Kapitel diesen „zusätzlichen Geschlechtern“. Dieser Faden ist von
Kessler/McKenna
(1978) und
Ortner/Whitehead
(1981) aufgenommen worden, wobei letztere eine ganze Aufsatzsammlung vorlegen, deren Autoren verschiedene Kulturen mit der Perspektive einer „Hermeneutik der Geschlechter“ untersucht haben.
Wie diese anthropologischen Arbeiten verdeutlichen, müssen wir die Kategorien Frau/Mann selbst als Symbole in einem sozialen Sinnsystem begreifen. Wir können an keine Gesellschaft mit der naiven Annahme herantreten, wir wüßten ja schon, was Frauen und Männer sind und woran man den Unterschied erkennt. Sinnsysteme sind nicht ohne Verständnis der Intention der Handelnden zu begreifen, aber auch nicht ohne die historischen und sozialen Bedingungen, unter denen sie ihren Schein der Naturhaftigkeit erhalten. Geschlechtssysteme sind typischerweise zweigeteilt und hierarchisch, wobei in allen uns bekannten Gesellschaften das männliche Geschlecht dominiert
(Ortner
1974); die Inhalte der Kategorien variieren jedoch sehr breit. Eine Anzahl von Gesellschaften haben Möglichkeiten gekannt, zum anderen Geschlecht überzuwechseln, ein drittes, neutrales Geschlecht anzunehmen, oder kennen mehrere zusätzliche Geschlechtskategorien. Umstritten ist, ob dies die Zweiteilung unterläuft
(Martin/Voorhies, Kessler/McKenna)
oder im Gegenteil gerade stärkt, indem ein Platz für Verhaltensabweichungen geschaffen wird (Cucciari 1981). Regelmäßig greifen jedoch die Prinzipien der Geschlechterunterscheidung, deren Inhalt ja sehr unterschiedlich ist je nach Kultur, auf die innere Hierarchie unter den Angehörigen eines Geschlechts und auf die besondere Geschlechtszuordnung über, sie sind also zugleich auch Werthierarchien allgemeiner Art. Was den Geschlechtswechsel oder die „zusätzlichen Geschlechter“ betrifft, scheinen die Genitalien nie ganz irrelevant zu werden; diese Gesellschaften unterscheiden im Alltag jedoch nach anderen Kriterien und erlauben so in der Praxis den vollständigen Geschlechtswechsel oder den Wechsel in einen Sonderstatus, ohne daß die Genitalien ein Hindernis wären.
Auch die Sexualität im engeren Sinne kann nicht als „Naturtatsache“ gelten. Die neuere Sexualwissenschaft bestätigt, daß eine hormonelle Verursachung für die Wahl des Sexualpartners, für die Relevanz von Personen, Gesten oder Situationen als erotisch oder unerotisch, überhaupt nicht in Frage kommt. Das, was als erotisch empfunden wird und sexuelle Erregung auszulösen vermag, ebenso wie das, was als sexuelles Tun erlebt wird, ist eindeutig kulturell gelernt und daher eingebettet im Sinnsystem der Zweigeschlechtlichkeit
(Cucchiari
1981, S. 38).
In die gleiche Richtung von einer anderen Ecke her weisen die Überlegungen von
Constantinople
(1979), ob wir nicht „Geschlechtsrollen“ als „Regeln“ betrachten sollten. Sie übernimmt eine psychotherapeutische Begrifflichkeit, die Murray für die Beschreibung von Über-Ich-Prozessen bildete, worin mit Regeln im wesentlichen Erlaubnisse und Verbote verbunden sind. Mit dem Verständnis des Geschlechts lernt das Kind zugleich, wann, wo, auf welche Weise, und gegenüber welchen Personen Bedürfnisse geäußert (d. h. auch oft: empfunden) werden können/dürfen. Neuere Ansätze der Frauentherapie, die Veränderungen in den Festschreibungen der Weiblichkeit unterstützen wollen, stoßen immer wieder auf die Erlaubnis als einen wesentlichen sozialen Vorgang, der Veränderungen ermöglicht. Die Wichtigkeit von Verboten war schon länger in der Psychotherapie bekannt; wahrscheinlich verhinderte die Ideologie der männlichen Individualität eine stärkere Thematisierung der Erlaubnisse. Diese Gedanken können wir so formulieren, daß das kulturelle System, das uns die Unterscheidung von Frauen und Männern kognitiv ermöglicht (und abverlangt), zugleich auch nicht nur relative Bewertungen, sondern auch Erlaubnisse und Verbote für unsere Bedürfnisse und deren Äußerungen beinhaltet.
Anthropologische Untersuchungen können für unsere Fragestellung nur den Hintergrund bilden. Für unsere Kultur haben wir, aus der
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