Sprengkraft
Geheimhaltungsgetue beeindrucken ließ? Wenn er den Schwanz einklemmte und es vorzog, kein politisches Erdbeben auszulösen? Weil womöglich sein Verleger ein Golfpartner des Ministerpräsidenten war?
Ein weißer Audi fuhr vorüber. Der Beifahrer glotzte. Veller kam das Auto bekannt vor. Es war die Karre, die hinter ihm vom Parkplatz des Ministeriums gerollt war.
Verfassungsschutzleute.
Eine professionelle Observierung sieht anders aus, dachte Veller. Die Schlapphüte wollten ihn einschüchtern.
Jetzt erst recht, dachte Veller und drückte die Klingel. Der Öffner summte. Veller betrat das Gebäude.
In diesem Moment klingelte sein Handy. Koch, der Beamte vom Referat 611, Grundsatzangelegenheiten und Auskunftsersuchen.
»Gerade habe ich an Ihre Behörde gedacht«, sagte Veller.
»Lassen Sie die Scherze«, antwortete Koch. »Wir gewähren Ihnen die Akteneinsicht.«
»Warum nicht gleich so?«
»Morgen bei uns im Ministerium. Ich stehe Ihnen ab neun Uhr zur Verfügung. Sie dürfen nichts mitnehmen oder koppieren. Das heißt, Sie erhalten volle Kenntnis, können das Material aber nicht in einem möglichen Strafverfahren verwenden. Ist das ein Kompromiss, mit dem Sie leben können, Herr Weller?«
Veller atmete tief durch, dann sagte er: »Einverstanden.«
Er trat ins Freie. In der nächsten Einfahrt stand der weiße Audi. Wie ein Sieger fühlte sich Veller nicht. Die drei sind tot und damit hat sich die Sache erledigt – plötzlich war ihm klar, dass in der Verfassungsschutzakte nichts Gegenteiliges stehen würde.
53.
Moritz hatte Blumen, Kränze und Windlichter organisiert. Danach hatten die Parteiangestellten ihre Zentrale für den Rest des Tags dichtgemacht und waren in Richtung Krefeld-Uerdingen aufgebrochen. Natürlich hatte Moritz die Medien informiert, und so wurde es ein Pilgerzug von etwa fünfzehn Autos, der seinem Mondeo auf der Suche nach der Unglücksstelle folgte.
Gräfe saß auf dem Beifahrersitz und musste drei Mal mit der Polizei telefonieren, bis er Moritz zum richtigen Baum lotsen konnte. Heike, die hinten Platz genommen hatte, heulte unterdessen mehrere Tempopackungen voll.
Hier also, dachte Moritz, als er den Wagen in der Mündung eines Feldwegs abstellte und ausstieg. Südlich von Uerdingen, außerhalb des Dorfs Gellep, das noch zu Krefeld gehörte. Die schmale Landstraße verlief zwischen Rhein und Autobahn. Carola war von Norden gekommen. Im Kurvenbereich neigte sich die Fahrbahn tückisch nach außen, es gab keine Leitplanke und die dicht berankte Böschung fiel schätzungsweise einen Meter tief ab. Aus Efeu und Gestrüpp ragte der Stamm einer alten Ulme.
Auf den ersten Blick erkannte Moritz, dass das Gelände an dieser Stelle zu abschüssig für seine Inszenierung war. Er dirigierte den Trupp der Parteiangestellten zum nächsten Baum, der dichter an der Straße stand. Dort legten sie ihre Kränze ab, drapierten Blumensträuße, entzündeten eine Unzahl von Lichtern. Nicht nur Heike musste lauthals schluchzen. Das Blitzlichtgewitter der mitgereisten Fotografen währte einige Minuten lang.
Moritz improvisierte eine kurze Trauerrede, die von Carola handelte, wie sie zwischen zwei Terminen Entspannung auf der geliebten Harley gesucht hatte, aber den Stress nicht abschütteln konnte, der auf ihr lastete. Die ökonomische und moralische Krise der Republik, die anhaltende Terrorgefahr, offene Morddrohungen durch religiöse Fanatiker, die beispiellose Anfeindung durch die Zirkel der politischen Macht, die um ihre Pfründe zitterten. Als Moritz die tote Parteichefin als Lichtgestalt aller freiheitlich Gesinnten in den Himmel hob, spürte er, wie ihm selbst die Tränen der Rührung in die Augen schossen – als die Kameras draufhielten, wusste er, dass es stimmungsvolle Bilder geben würde.
Während Gräfe sich eine Zigarre anzündete und Heike mit den anderen noch etwas trauerte, rief Moritz Alex Vogel an, weil ihn irritierte, dass der Blitz nur einen Fotografen, aber keinen Reporter geschickt hatte. Er wiederholte einige Stichworte seiner Ansprache, um den Chefredakteur auf Linie zu bringen.
»Ich habe gehört, sie war blau, als sie gegen den Baum fuhr«, sagte Vogel.
»Das müssen Sie ja nicht erwähnen«, schlug Moritz vor.
»Mensch, Lemmi, altes Haus, gerade das ist doch die Würze der ganzen Nachricht! Die schöne Carola ertrug ihre Arbeit für eure Partei nur unter Alkohol. Supi!«
»Ha, ha, selten so gelacht.«
»Ich mache keine Witze. Ich entwerfe
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