St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
dass Ihr heute ein wenig bedrückt wirkt. Ich vermute, die wenig erfreulichen Ereignisse des vergangenen Abends -«
»Oh nein!«, widersprach sie gleich, weil sie nicht mit jemandem über die Demütigungen sprechen wollte, die ihr gestern zugefügt worden waren. »Ich bin nur müde, und mich ... mich plagt wohl ein wenig das Heimweh.« Sie zwang sich zu lächeln, um dieser Ausrede das nötige Gewicht zu verleihen. Tief in ihrem Innern musste Madeline sich zu ihrer Schande gestehen, dass sie seit ihrer Ankunft auf Castle Leger nur sehr wenig an ihre Familie gedacht hatte. Nur ein Mensch bestimmte ihr Leben: Anatole St. Leger.
Verwundert stellte sie fest, wie sehr sie sich an ihn gewöhnt hatte, an das Stampfen seiner Stiefel, an seine tiefe Stimme, an das Aroma seiner Pfeife.
Und kaum war der Mann einmal nicht da, vermisste sie ihn schon.
Absurd!
»Aber es ist doch ganz natürlich für einen Menschen in der Fremde, sich nach seiner Familie zu sehnen«, seufzte
Rochencoeur. »Ich selbst kenne die Schmerzen viel zu gut, von einer geliebten Person getrennt zu sein.«
»Ihr sprecht von Eurem Sohn?«, fragte Madeline und war froh, sein Interesse von ihr ablenken zu können. »Oui, mein kleiner Raphael. Sehr viel Zeit wird vergehen müssen, ehe ich ihn wiedersehen kann. Denn leider ist mir nicht gestattet, nach Frankreich zurückzukehren, ehe ich nicht meine Aufgabe im Sinne von la Comtesse beendet habe.«
»Ihr meint, der Dame einen englischen Ehemann zu suchen?«
»Ja«, antwortete er und nickte düster. »Manchmal fürchte ich, ich sollte das nicht tun, und lieber nach Frankreich zurückkehren, ehe ich etwas in Gang bringe, das nur in einer Tragödie enden kann. Wer weiß, vielleicht habe ich mich ja geirrt, als ich mich für Roman St. Leger entschied. Aber er ist so kalt und unberechenbar.«
»Verzeiht, wenn ich das sage«, warf Madeline ein, »aber Eure Gönnerin erscheint mir auch ein wenig kalt, wenn sie Euch zwingt, von Eurem Sohn getrennt zu sein.«
»La Comtesse Sobrennie ist eine sehr entschiedene Frau. Ohne Zweifel besitzt sie ein großes Herz, doch sie kennt für niemanden Gnade, der sich ihr in den Weg stellt.« Damit beugte sich Yves vor, so als wolle er ihr etwas Vertrauliches mitteilen. »Behaltet bitte immer im Gedächtnis, meine gebildete Freundin, dass es auf dieser Welt mehr Grausamkeit und Verzweiflung gibt, als man sich vorzustellen vermag.«
Bei diesen Worten glitzerten seine Augen, als wolle er Madeline vor etwas warnen, das sie jedoch nicht genau deuten konnte. Sie vermutete aber, dass Rochencoeur selbst insgeheim in die Gräfin verliebt war. Sie legte eine Hand auf die seine. »Wenn Ihr auch nur den geringsten Zweifel an einer Verbindung zwischen Roman und La Comtesse hegt, solltet Ihr von Eurer Mission Abstand nehmen.«
»Dafür sind die Ereignisse leider schon zu weit gediehen. Aber für Euch ist es noch nicht zu spät.«
»Für mich? Was meint Ihr damit?«
Der Franzose senkte den Blick. »Ich fürchte, Eure Betrübnis rührt nicht vom Heimweh her, sondern von Eurem Gatten. Er behandelt Euch wohl schlecht.«
»Monsieur! Ich weiß natürlich, dass Ihr nach den gestrigen Vorfällen einen sehr schlechten Eindruck von Anatole gewonnen haben müsst, aber ich versichere Euch, dass er unter seinem grimmigen Äußeren ein sehr sanfter und -«
»Pah! Er ist ein St. Leger. Ich kenne die Geschichten, welche sich um diese Familie ranken. Ständig erleben diejenigen, die mit ihnen in Berührung kommen, Kummer und Leid.«
Yves ergriff ihre Hand. »Verlasst diesen Ort. Hier erwartet Euch kein Glück. Kehrt heim zu Eurer Familie nach London.«
Madeline starrte ihn mit großen Augen an und konnte nicht fassen, was sie da gerade zu hören bekommen hatte. Doch bevor sie sich eine Antwort überlegen konnte, flog die Tür mit einem lauten Knall auf, und Anatole stand da.
Die junge Frau sprang sofort vor Freude auf, erschrak dann aber über sein Aussehen. Er wirkte wie ein barbarischer Krieger, der von einer verlorenen Schlacht heimkehrte. Bedrohliche Stille senkte sich über den Salon, als der Burgherr eintrat. Rochencoeur fasste sich und stand auf. »Monsieur St. Leger, ich -«
»Was, zur Hölle, wollt Ihr denn hier?« Madeline stellte sich rasch zwischen die beiden. »Mylord,
der Monsieur ist nur zu einem Höflichkeitsbesuch erschienen.«
Doch Anatole achtete nicht auf sie und bewegte sich bedrohlich auf den Franzosen zu, bis dieser immer weiter zurückwich.
»Mylord, ich bin nur gekommen,
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