St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
vielleicht, dachte die junge Frau, sagte sich aber, dass gewisse Dinge hier und jetzt ein für alle Mal geklärt werden mussten.
»Ich hege nicht die Absicht, nach London zurückzukehren, Mr. Trigghorne. Immerhin bin ich die neue Herrin von Castle Leger, und ich werde diese Aufgabe nach allen Kräften erfüllen. Am besten gewöhnt Ihr Euch rasch daran.«
Dem Grauhaarigen verging das Grinsen. »Wie Ihr wünscht, Ma'am.«
Als der Diener ins Haus zurückgekehrt war, brach ihre selbstsichere Fassade zusammen. Wie oft hatte Madeline sich während der langen Reise gewünscht, endlich Ruhe vor Harriets fortgesetzten Nörgeleien und Vorwürfen zu haben. Doch da hatte sie noch nicht gewusst, dass sie in einem Haus voller fremder Männer stranden würde. Verdammt, dachte sie, ich weiß nicht einmal, wie ich mich heute Abend ganz allein entkleiden soll. Aber dann fiel ihr Anatole ein, und sie sagte sich, dass die Kleiderfrage das geringste ihrer Probleme sei. Was für eine bittere Ironie. Da war sie so weit gereist und voller Träume gewesen, hatte die Hoffnung gehegt, ihre Einsamkeit in London endgültig hinter sich lassen zu können. Doch als sie sich jetzt hier umsah, fühlte sie sich allein gelassen wie nie zuvor.
5
Mitternacht war vorüber, und alle Sterblichen in der Burg hatten sich längst zu Bett begeben. Anatole St. Leger fragte sich wie sooft, zu welcher Welt er mehr gehörte: zu der der Lebenden oder zu der der rastlosen Schatten seiner Vorfahren. In dieser Nacht glaubte er mehr an Letzteres. Der Burgherr stand vor den nachtschwarzen Fenstern, zog am Schnürband seines Hemds und kämpfte gegen den Drang an, den Kristall ein weiteres Mal zu befragen. Und noch stärker rang er mit den dunkleren Gelüsten der St.-Leger-Männer, die zu lange auf ihre Braut gewartet hatten.
Nun war sie endlich eingetroffen, und für ihn in seinem jetzigen Zustand spielte es keine Rolle mehr, dass Madeline kaum seinen Vorstellungen von einer Ehefrau entsprach. Nicht um Viertel vor zwei Uhr. Die kunstvolle Uhr vertickte die Minuten mit einer Geschwindigkeit, welche auch einen normalen Mann in den Wahnsinn getrieben hätte. Die Kerzen waren heruntergebrannt, und die Nacht drängte gegen die Fensterscheiben, als sollte es nie mehr Dämmerung werden.
Das Blut rauschte heiß durch seine Adern. Anatole stöhnte leise. Noch eine dunkle Nacht der Verzweiflung, der unerträglichen Einsamkeit und der schlaflosen Hölle.
Er zerwühlte sein Haar. Warum noch den Kristall bemühen, um seine Zukunft zu schauen, die verwünschte Frau brachte ihn bereits um den Verstand. St. Leger hörte das laute Pochen seines Herzens, seine Atmung und das infernalische Ticken der Uhr. Er wirbelte herum, hob die Uhr von ihrem Platz und ließ sie in der Luft schweben. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, sie gegen die Wand zu schleudern. Stattdessen ließ Anatole sie auf sein Bett fallen. Zu seiner Erleichterung reichte das schon, das Ticken zum Verstummen zu bringen. St. Leger lehnte sich gegen den Bettpfosten. Der Temperamentsausbruch rief Schwindelgefühle in seinem Kopf hervor. Als er wieder klar denken konnte, wanderte sein Blick unweigerlich zu der gegenüberliegenden Wand. Das Licht des silbernen Kerzenständers reichte nicht aus, die dortigen Schatten zu durchdringen, hinter denen sich die Tür zu ihrem Zimmer befand.
Madeline hatte sich schon vor Stunden zurückgezogen, da sie von der langen Reise erschöpft war. Zurückgezogen? Von wegen, verbarrikadiert traf es eher. Seine perfekte Braut, wie Fitzleger behauptet hatte. Dabei besaß diese Frau alles, was Anatole an einer Frau nicht mochte. Viel zu schön und viel zu zerbrechlich, und sie ängstigte sich vor ihm zu Tode. Dabei hatte er noch nicht einmal angefangen, ihr seine Geheimnisse aufzudecken. Dumpf brütend starrte er in Richtung ihrer Tür und versuchte, seine Sinne zu ihr vordringen zu lassen, so wie er das bei jedem anderen auf der Burg vermochte. Doch diesmal blieb ihm der Erfolg versagt. So sehr er sich auch anstrengte, seine Braut entzog sich ihm und blieb für ihn so dunkel wie die Nacht draußen.
St. Leger atmete frustriert aus. Verdammt sei diese Frau! Wenn sie tatsächlich die ideale Braut für ihn wäre, dann müsste er auch jeden ihrer Atemzüge oder Herzschläge empfangen können, selbst wenn sie sich eine Meile entfernt befunden hätte.
Und mit dieser Madeline sollte er morgen vor den Altar treten, um dort den heiligsten Schwur zu leisten, den ein St. Leger ablegen
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