St. Leger 01 - Der Fluch Der Feuerfrau
ausstreckte, hatte er sie angelächelt und mit der Magie in seinen wunderschönen Augen verzaubert.
Ich will nur dich lieben, Madeline. Erlaube mir, dich zu lieben, und zeige mir den Weg zu deinem Herzen. Seufzend hatte Madeline darauf gewartet, dass er sie küsste, doch dazu war es nie gekommen. Wie bei einem spannenden Buch, an dessen Ende man anlangt, um festzustellen, dass die letzte Seite fehlt.
Schließlich gab sie auf und öffnete die Augen ganz. Der Traum war endgültig verloren, und sie fand sich in einem fremden Raum wieder. Von ihrem Liebhaber war ihr nur die Miniatur geblieben.
Große Traurigkeit überkam Madeline, und sie erlebte das Gefühl, etwas unwiederbringlich verloren zu haben. Tränen traten ihr in die Augen und versiegten erst, als sie sich schalt, sich nicht so närrisch anzustellen. Sie hatte nur einen schönen Traum gehabt und keinen Albtraum. Der Nachtmahr erwartete sie bei Tag. Die junge Frau wehrte sich dagegen, in Selbstmitleid zu zerfließen. Sie schob das Porträt unter ihr Kissen, drehte sich um und nahm sich vor, nur noch an Schlaf zu denken. Als sie sich wohlig unter der Decke reckte, schob sie das Korsett von sich. Das Korsett?
Madeline riss die Augen weit auf und saß kerzengerade im Bett. Sie tastete Bauch und Brust ab und traf doch nichts außer ihrem Nachthemd an. Dann wanderten ihre Finger über die Matratze und stießen gegen das Mieder. Die Schnüre waren sauber gelöst. Das war deutlich zu sehen ...
Jemand hatte eine brennende Kerze auf dem Ankleidetisch zurückgelassen.
Der jungen Frau schlug das Herz bis zum Hals, und lange Zeit konnte sie sich nicht rühren - auch dann nicht, als der Docht längst herabgebrannt war. Ihr Blick suchte die schattigen Ecken des Raums ab. Offenbar war sie allein, zumindest jetzt.
Madeline verkroch sich unter die Decke, bekam in dieser Nacht aber kein Auge mehr zu.
6
»Und
wenn jemand einen berechtigen Einwand vorzubringen hat, warum diese beiden nicht mit allem Recht den Ehebund eingehen sollen, so soll er jetzt vortreten oder auf immer schweigen.«
Reverend Septimus Fitzlegers Worte hallten wie üblich in. der Kirche wider, doch zum ersten Mal befürchtete der Geistliche, dass heute tatsächlich jemand vortreten würde. Sein Blick richtete sich erst auf Madeline und dann auf Anatole und wieder zurück. Der Bräutigam schwieg mit steinerner Miene, während die Braut mit ihren behandschuhten Fingern den Brautstrauß umklammerte. Ja, es gibt ein Dutzend Gründe, warum sie Seine Lordschaft nicht heiraten sollte.
Weil der Mann Bücher als Möbelstützen missbrauchte, weil er grob, gefährlich und finster war. Weil sie von ihm nie zärtliche Liebe erfahren würde. Weil seine Burg am Meer ein Hort des Staubs und der Verlorenheit war. Weil sie eine schreckliche Nacht unter seinem Dach verbracht hatte und ständig befürchtete, das Phantom, das sie entkleidet hatte, könne jeden Moment zurückkehren. Ja, ein Dutzend Gründe und vermutlich noch hundert mehr, doch kein einziger, der sie wirklich überzeugte, als jetzt das helle Sonnenlicht durch die hohen gewölbten Fenster von St. Gothian's drang. Und immerhin war Madeline immer stolz darauf gewesen, eine vernünftige Frau zu sein.
Der Pastor beugte sich wieder über sein Messbuch und beeilte sich, die Zeremonie zu Ende zu bringen. Nur die zwei Trauzeugen befanden sich in den Bänken hinter dem Brautpaar: Mrs. Beamus, die rotwangige Haushälterin des Geistlichen, und der alte Darby, der Küster dieser Gemeinde.
Ohne Zweifel freundliche, honorige Menschen, die Madeline jedoch völlig unbekannt waren. Wie gern hätte sie jetzt Harriet an ihrer Seite gewusst. Und sie vermisste auch den Rest ihrer lauten, sorglosen und fröhlichen Familie. Aber vielleicht war es gerade recht so, dass nur Fremde an ihrer Vermählung teilnahmen. Sie spähte unter ihrer Haube hervor auf den Riesen neben ihr, ihren Bräutigam. Wenigstens machte er heute einen zahmeren Eindruck, woran auch seine Kleidung nicht ganz unschuldig war: ein nachtblauer Anzug, dessen Rock ihm bis an die Knie reichte. Und die weißen Rüschen an seinem Hemd und an den Ärmeln milderten die dunkle Ausstrahlung dieses Mannes ab. Ein etwas altmodischer Stil, gleichwohl aber nicht ohne Eleganz - wenn man von dem ledernen Schwertgurt absah, den er sich umgebunden hatte. Die junge Frau hatte ihn zwar nicht daraufhin angesprochen, aber insgeheim fragte sie sich doch, warum dieser Lord bewaffnet mit einem Schwert zu seiner Trauung erschien.
Aber
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