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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Oberwesel am Rhein gegründet.) Kein Witz, keine Ausnahme. Im selben Frühjahr werden im Eisstadion von Berlin-Wilmersdorf Hakenkreuz-Anstecknadeln verkauft; wird das DKP -Kreiszentrum mit hakenkreuzverziertem Aufkleber «Kauft nicht bei Juden» beklebt; liest man eine Annonce «An Sammler: Adolf-Hitler-Büste, 190  mm hoch, für 250   DM abzugeben»; meldete der «Tagesspiegel»: «Vom Eisernen Kreuz über NSDAP -Parteiabzeichen bis hin zum Ritterkreuz zum Preis von 365   DM , all das bot ein privater Händler auf der 4 . Internationalen Sammlerbörse am Funkturm am Wochenende an. Nachdem er am Sonnabend über acht Stunden lang unbehelligt sein umfangreiches Sortiment verkauft hatte, wurde die Börsenleitung auf ihn aufmerksam, die seinen Tisch räumen ließ»; meldete der «Kölner Stadtanzeiger»: «Tyra Reichsgräfin Klenau von Klenova und Arnhard Reichsgraf Klenau von Klenova hatten in einer Versteigerung ein paar hübsche Dinge anzubieten: eine Sturmfahne in der frühen Form, komplett mit Stange und Fahnenspitze, aus dem Sturm  11 der Standarte  40 für 1300  Mark; eine ‹Kinderpuppe in SA -Uniform› für 150  Mark; zwei ‹ SA -Trommeln› für 120  Mark oder den ‹Dienstdolch M 33 › komplett mit ‹Scheide und Gehänge› für 400  Mark»; konnte der Westberliner Filmproduzent Brauner von einer Party berichten, auf der zwei Damen Hakenkreuze als Halsschmuck – eines davon mit Diamanten besetzt – trugen; erschien als «Sonderausgabe zum 89 . Geburtstag des Führers» der «Völkische Beobachter», runengeschmückt, mit der Balkenüberschrift «Botschafter der arischen Rasse Adolf Hitler».
    Das kriecht wieder hervor und wimmelt und regt sich. Fast wöchentlich muß man Überschriften in der liberalen bürgerlichen Presse lesen: «Neonazis haben ihr Waffenarsenal gefüllt», «Gewaltverherrlichung neonazistischer Gruppen», «Mit Braunhemd und deutschem Gruß», «Alte Nazis werden umschwärmt», «Nazi-Literatur und Hitler-Symbole offen gehandelt». Der Londoner «Observer» faßt das zusammen, am 26 . Februar 1978 : «Germanys new Nazis come into the open.»
    Die kritiklose Geschwindigkeit, mit der ein unverdauter, in Schnellkochkursen angerührter Instant-Marxismus eingeschlürft wurde, und die schneller, schärfer werdende Rechtspirouette: sie haben
eine
Wurzel. Das Wort «Sinngebung» mag heikel sein; doch die Tatsache ist nicht hinwegzuretuschieren, daß einer neuen Generation, die nichts kennt als unsere Demokratie, deren Sinn und Wert nicht vermittelt wurde. Junge Menschen sind empfindlich gegen Lüge und Obszönität – ob es nun die kläglichen Winkelzüge des Marinerichters Filbinger oder die PS -Sehnsüchte des eigenen bürgerlichen Elternhauses sind oder Alfred Dreggers Satz: «Ich gebe mich mit dem Quatsch der Umfragen nicht ab – ich möchte vor allem regieren.» Wo Ideale nicht geboten werden, greift man zu Idolen: im Glücksfall Elvis oder die Beatles; im Mißverständnis Mao oder Che; im schlimmsten Fall Hitler.
    Weil diese Gesellschaft monologisch statt dialogisch strukturiert ist, hat sie eine Generation aus dem Gespräch entlassen, sich der Möglichkeit zur Aussprache begeben. Ob RAF , Tunix oder Wikingerbund: Haben wir das Recht, den Stab zu brechen? Ich habe kürzlich in einer Illustrierten zwei Seiten von Fotos junger Leute gesehen, die mit Berufsverboten belegt sind: Es sah aus, exakt, wie die Fahndungsliste von morgen. Wenn diese Gesellschaft keine anderen politischen Angebote machen kann als die an Schüler, beim Verfassungsschutz mitzuarbeiten, an Studenten, vor geschlossenen Numerus-clausus-Türen zu stehen, und an Lehrer, arbeitslos zu sein – wer von uns könnte da aufrichtig von sich sagen, er gehörte nicht vielleicht auch auf eine solche Fotoliste der Verbotenen oder Gesuchten? Hat sich jeder von uns geprüft, wie er als junger Mensch reagiert hätte auf diese Welt von lächelndem Eis und samtenem Gift, die Angebot mit Sortiment verwechselt und Fragen mit Nachfrage, ein flimmerndes Riesenrad, dahinrasend zwischen Unbarmherzigkeit, Sentimentalität und Gnadenlosigkeit?
    Die Väter dieses Staates sind es, die ihn zu unterwühlen beginnen. Sie ertragen nicht Zweifel an sich noch an der von ihnen gezimmerten Gesellschaft – und sie begreifen nicht, daß unterdrückter Zweifel zu Verzweiflung gerinnt. Sie haben einmal ihr Lied gesungen vom Weitermarschieren, bis alles in Trümmer fällt; nun sie die herbeigesungenen Trümmer beseitigt haben, ergreift

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