Starker als dein Tod
Lebens.“
Etwas Düsteres und nur zu Menschliches flackerte in seinem Blick auf, und zum ersten Mal wurde Emily bewusst, wie brutal solch ein Einsatz sein musste. Sie war schon lange genug Vollzugsbeamtin, um zu wissen, was hinter den steinernen Mauern des Gefängnisses geschah. Selbst für einen starken Menschen wie Zack Devlin mussten die Gewalt und die Hoffnungslosigkeit furchtbar gewesen sein.
„Das war vermutlich hart“, sagte sie.
„Ich hatte schon angenehmere Einsätze.“
„In welchem Zellenblock hast du gesessen?“
„2-W.“
Aufgrund ihres Geschlechts war sie dort niemals eingesetzt worden, doch sie kannte den schlechten Ruf von 2-W. Es handelte sich um den Zellenblock, in dem nur die gewalttätigsten und gefährlichsten Täter untergebracht wurden. „Wieso haben sie dich in 2-W gesteckt?“
Er schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich habe ein vorlautes Mundwerk.“
„Ist mir aufgefallen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe beim falschen Vollzugsbeamten die Klappe aufgerissen. Er hat veranlasst, dass ich dorthin verlegt werde. Und dann hat er es zu seiner persönlichen Mission gemacht, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.“
Die Insassen von Zellenblock 2-W durften nur drei Stunden am Tag nach draußen. Zwei oder manchmal auch drei Männer waren gezwungen, in einer beengten Zelle von vier mal zwei Metern zu hausen. Die Zellen konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit und ohne Vorwarnung nach Schmuggelware durchsucht werden – was ziemlich oft geschah. Die Strafgefangenen wurden regelmäßig auf die Krankenstation oder in den Duschraum gebracht und auf der Suche nach Drogen oder Waffen einer Leibesvisitation unterzogen. Nur die kräftigsten Wärter arbeiteten im Zellenblock 2-W. Es waren ausgerechnet diejenigen, die ihren Job ein bisschen zu sehr mochten. Diejenigen, die nichts dagegen hatten, sich mit einem Häftling zu prügeln. Auch wenn dieser es nicht verdient hatte.
„Ich könnte mir nicht vorstellen, unter solchen Bedingungen zu leben“, erwiderte sie.
„Ich wusste, worauf ich mich einlasse.“
„Aber wenn das, was du über
Lockdown
erzählst, tatsächlich stimmt, hättest du getötet werden können.“
„Ich bin gut in dem, was ich tue, Emily. MIDNIGHT ist vorsichtig mit seinen Agenten.“ Er betrachtete die Stelle an seinem Arm, wo man den GPS-Sender entfernt hatte, und lachte. „Und außerdem trage ich das Glück der Iren in meinen Genen.“
„Warum hast du einem solchen Einsatz zugestimmt?“, wollte sie wissen.
In den letzten vier Höllenmonaten hatte sich Zack diese Frage selbst schon tausend Mal gestellt. Immer dann, wenn man ihn um drei Uhr in der Früh von seiner Pritsche gezerrt hatte und er zusehen musste, wie sechs Officer auf der Suche nach Schmuggelware die ganze Zelle auf den Kopf stellten. Immer dann, wenn man ihn ausgezogen und durchsucht hatte, und sei es auch nur um der Demütigung willen.
Zack war niemals eine gute Antwort eingefallen, warum er zugestimmt hatte. Vielleicht weil es sein erster richtiger Einsatz seit Alisas Tod war. Vielleicht hatte er tief im Innersten das Gefühl, für etwas büßen zu müssen.
„Das ist eben mein Job.“ Er sagte die Worte leichthin, aber er konnte Emily ansehen, dass sie begriff, wie viel mehr sich dahinter verbarg. Doch das war eine Geschichte, die Zack nicht erzählen wollte. Erst recht nicht einer Frau, deren Leben in seinen Händen lag.
„Für mich ist diese Behörde unverantwortlich, wenn sie einen Agenten einer solchen Gefahr aussetzen.“
„Im Leben muss man manchmal Risiken eingehen, Emily. Einige von uns mögen das. Wir mögen es, weil wir uns auf diese Weise so lebendig fühlen, dass nichts anderes dem auch nur ansatzweise nahe kommt.“
Irgendwann waren sie stehen geblieben. Zack stand ihr gegenüber und betrachtete sie. Sie schien gleichermaßen nachdenklich wie verblüfft zu sein. Er wusste, dass der Zeitpunkt nicht schlechter sein konnte, doch er schaute sie gerne an. Er war gerne in ihrer Nähe, sprach gerne mit ihr. Obwohl sie sich mitten im Nirgendwo befanden und etwas unglaublich Gefährliches vorhatten, war er schmerzlich versucht, den Moment noch ein wenig auszudehnen. Mehr als alles andere wollte er sich vorbeugen und sie küssen, so wie er es im Gefängnis getan hatte. Sogar mit dem bewaffneten Wärter, der sie überrascht hatte, hatte der Geschmack ihrer Lippen in ihm ein Sehnen geweckt, das er lange nicht mehr
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