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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Vaterlandslosen in manchem am tiefsten, immer aber am raschesten verstanden, der freie Weltbürger versteht wiederum ihre letzte Tragik, das Losgelöstsein von allem, selbst von sich selbst. Er sieht, daß sie als Mittel wertvoll sind, obwohl sie selbst kein Ziel bedeuten, daß sie, wie alle Nationen und Rassen, gebunden werden müssen durch einen Gegensatz, daß diese »hypernervösen, aufgeregten Wesen eines Gesetzes bedürfen, das sie bindet. Die Juden sind wie die Weiber, ausgezeichnet, wenn man sie am Zügel hält, aber beider Herrschaft wäre unerträglich«. So wenig wie der französische, der deutsche Geist dürfte der ihre zum Gesetz werden: aber er will die Juden nicht anders, als sie sind. Jede Rasse ist notwendig durch das Prononzierte ihres Wesens zur Bereicherung irdischer Vielfalt und damit zur Steigerung des Lebens. Alles hat – der alternde Christof schließt ja Frieden mit der Welt – seinen bestimmten Sinn im Ganzen und in der großen Harmonie jeder einzelne starke Ton seinen Wert. Was einzeln sich befeindet, hilft das Ganze binden, auch das Niederreißende ist notwendig für den neuen Bau, der analytische Geist die Vorbedingung des synthetischen. Und so grüßt er die Vaterlandslosen in den Vaterländern als Helfer zum Werke des neuen allmenschlichen Vaterlandes, er nimmt sie auf in den europäischen Traum, dessen fernem rauschendem Rhythmus sein freies Blut sehnsüchtig entgegenschwingt.

Die Generationen
    H ürde und Hürde also um die ganze Menschenherde, und sie alle muß der wirklich Lebendige zerbrechen, um frei zu sein; Hürde des Vaterlands, das ihn abschließt von den anderen Völkern, Hürde der Sprache, die sein Denken einzwängt. Hürde der Religion, die ihn unverstehend macht für anderen Glauben, Hürde des eigenen Wesens, das mit Vorurteil und falsch Gelerntem den Weg in die Wirklichkeit sperrt. Furchtbare Absonderung: die Völker verstehen einander nicht, die Rassen, die Konfessionen, die einzelnen Menschen verstehen einander nicht, weil sie alle abgesondert sind, jeder erlebt nur Teil des Lebens, Teil der Wahrheit, Teil der Wirklichkeit, und jeder hält sein Stück für die Wahrheit.
    Der freie Mensch aber – »frei vom Wahn des Vaterlandes, des Glaubens und der Rasse« – selbst er, der allen Kerkern entronnen zu sein meint, entflieht einem letzten Kreise nicht: er ist in seine Zeit gebunden, an seine Generation gefesselt, denn Generationen sind die Stufen des Aufstiegs der Menschheit, jedes Geschlecht baut die ihren an die früheren an, es gibt da kein Voraus und Zurück, jede hat ihre Gesetze, ihre Form, ihre Sitten, ihren inneren Gehalt. Und das Tragische dieser unentrinnbaren Gemeinschaft ist, daß nicht eine Generation an die andere friedlich anschließt, ihre Resultate ausbaut, sondern daß sie – ganz wie die Menschen, ganz wie die Nationen – von feindlichen Vorurteilen gegen die nachbarlichen erfüllt ist. Auch hier ist Kampf und Mißtrauen ewiges Gesetz; immer verwirft die nächste Generation, was die gegenwärtige getan, erst die dritte oder vierte findet wieder zu den anderen zurück; alle Entwicklung ist eben im Sinne Goethes Spirale, gesteigerte Wiederkehr, die in immer engeren Kreisen aufwärts steigend an die gleichen Punkte zurückläuft. Und darum ist der Kampf ein ewiger zwischen Geschlecht und Geschlecht.
    Jede Generation ist notwendigerweise ungerecht gegen die frühere. »Die Generationen, die einander folgen, empfinden immer lebhafter das, was sie trennt, als das, was sie eint. Sie fühlen die Notwendigkeit, die Wichtigkeit ihrer Existenz zu betonen, sei es auch um den Preis einer Ungerechtigkeit oder einer Lüge gegen sich selbst.« So wie die Menschen haben sie »ein Alter, wo man ungerecht sein muß, um leben zu können«, sie müssen ihren Inhalt an Ideen, Formen und Kultur gewaltsam ausleben und können ebensowenig schonungsvoll sein gegen die späteren, wie die früheren gegen sie. Hier waltet das ewige Naturgesetz des Waldes, wo die jungen Bäume den alten die Erde wegtrinken und sie entwurzeln, die Lebenden über die Leichen der Toten schreiten: die Generationen kämpfen, und jeder einzelne Mensch kämpft unbewußt (so sehr er sich auch im Gegensatz zu ihr empfinden möge) für seine Zeit.
    Der junge Johann Christof, selbst er der Einsame, war, ohne es zu wissen, mit seiner Revolte gegen seine Zeit Repräsentant einer Gemeinsamkeit gewesen: in ihm hatte seine Generation gekämpft gegen die absterbende, war ungerecht gewesen in seiner

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