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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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andern aufklären, und diese wechselseitige Erhellung vorurteilsfreier Männer wäre Licht über der Welt.
    In diesem Sinn greift Rolland zum erstenmal zur Feder. Er schreibt an den Dichter, den er in Deutschland um seiner Güte und Menschlichkeit willen am meisten verehrt, ein offenes Wort. Und zur gleichen Stunde an Deutschlands gehässigsten Feind, an Emile Verhaeren. Beide Arme streckt er aus, zur Rechten und zur Linken, um das Entfernteste zu vereinen und wenigstens in dieser reinsten Sphäre des Geistes einen ersten Versuch geistiger Auseinandersetzung zu schaffen, indessen auf den Schlachtfeldern heiße Maschinengewehre die Jugend Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, Englands, Österreichs und Rußlands in gleichem, knatterndem Takte hinmähen.

Die Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann
    R omain Rolland war Gerhart Hauptmann nie persönlich begegnet. Er kannte seine Werke und liebte darin die leidenschaftliche Teilnahme an allem Menschlichen, die tiefe Güte, die jede einzelne Gestalt wissend durchdringt. Einmal in Berlin hatte er versucht ihn in seiner Wohnung aufzusuchen: Gerhart Hauptmann war damals abwesend. Auch im geschriebenen Wort waren sie einander fremd.
    Doch wählt Rolland gerade Hauptmann zur Aussprache als den repräsentativen Dichter Deutschlands, als den Schöpfer der »Weber« und weil Hauptmann sich in einem Aufsatz mit seiner Verantwortung vor das kämpfende Deutschland gestellt hatte. Er schreibt ihm am 29. August 1914, dem Tage, da das stupide Telegramm des Wolff-Bureaus, eine tragische Wirklichkeit in lächerlicher Abschreckungsabsicht übertreibend, meldete: »Die an Kunstschätzen reiche Stadt Löwen ist vom Erdboden vernichtet.« Der Anlaß zu einem Ausbruch der Entrüstung war gewiß gegeben, aber Rolland sucht sich zu bezwingen; »Ich gehöre nicht, Gerhart Hauptmann«, hebt er an, »zu jenen Franzosen, die Deutschland als das Land der Barbaren betrachten. Ich kenne die geistige und moralische Größe Eurer kraftvollen Rasse. Ich weiß, was ich den Denkern des alten Deutschland schulde, und gedenke auch zu dieser Stunde des Wortes und Beispiels unseres Goethe – denn er gehört der ganzen Menschheit zu –, der allen Völkerhaß verabscheute und seine Seele in jenen Höhen hielt, wo man das Glück und Unglück anderer Völker wie sein eigenes empfindet.« Und er fährt fort mit einem Pathos des Selbstbewußtseins, das zum erstenmal nun aus dem Werk dieses Bescheidensten klingt und, seine Mission erkennend, die Stimme über die Zeit erhebt: »Ich habe mein ganzes Leben daran gearbeitet, den Geist unserer beiden Nationen einander nahe zu bringen und alle Gräuel dieses verruchten Krieges, der sie gegeneinander wirft, werden mich nie dazu bringen, meinen Geist von Haß beflecken zu lassen.«
    Aber nun wird Rolland leidenschaftlicher. Er klagt nicht Deutschland des Krieges an – »der Krieg ist die Frucht der Schwachheit und Dummheit der Völker« –, er läßt die Politik beiseite, aber er protestiert gegen die Zerstörung der Kunstwerke. Vehement ruft er Hauptmann entgegen: »Seid Ihr die Enkel Goethes oder Attilas?«, um ihn dann wieder ruhiger zu beschwören, diesen Dingen keine geistige Rechtfertigung zu geben. »Im Namen unseres Europa, zu dessen erlauchtetsten Streitern Sie bis zu dieser Stunde gezählt haben, im Namen der Zivilisation, im Namen der Ehre des deutschen Volkes beschwöre ich Sie, Hauptmann, ich fordere Sie auf, Sie und die geistige Elite Deutschlands, unter der ich manchen Freund besitze, mit der äußersten Energie gegen ein Verbrechen zu protestieren, das sonst auf Euch zurückfiele.« Rolland will, daß, so wie er selbst, sich die Deutschen nicht mit den militärischen Tatsachen solidarisieren, nicht »den Krieg als ein Fatum hinnehmen«. Er hofft auf einen Protest der Deutschen – freilich ohne zu wissen, daß damals in Deutschland niemand eine Ahnung von den politischen Vorgängen hatte oder haben konnte, und daß ein solcher öffentlicher Protest öffentlich nicht möglich war.
    Noch leidenschaftlicher aber antwortet Gerhart Hauptmann. Statt, wie Rolland ihn beschworen, der deutschen militärischen Abschreckungspolitik die Zustimmung zu verweigern, versucht er begeistert, sie moralisch zu rechtfertigen, und übersteigert sich gefährlich in diesem Enthusiasmus. Für ihn gilt die Maxime »Krieg ist Krieg« und, etwas voreilig, verteidigt er das Recht des Siegers. »Der zur Ohnmacht Verurteilte greift zu Beschimpfungen.« Damit weist er die Zerstörung Löwens

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