Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
als Unterstellung zurück und begründet »den friedlichen Durchzug« deutscher Truppen durch Belgien als eine Lebensfrage Deutschlands, verweist auf die Erklärungen des Generalstabes und als höchste Autorität der Wahrheit auf »den Kaiser selbst«.
    Damit ist die Zwiesprache aus dem Geistigen ins Politische geglitten. Rolland weist nun seinerseits erbittert diese Auffassung Hauptmanns zurück, der die agressiven Theorien Schlieffens moralisch mit seiner Autorität stützt, und wirft ihm vor, sich »mit den Verbrechen der Machthaber zu solidarisieren«. Statt sie zu einigen, entzweit die Zwiesprache sie noch mehr. In Wirklichkeit sprechen sie beide aneinander vorbei, denn »le difficile est d’agir sans passion«, »es ist schwer ohne Leidenschaft zu handeln«. Die Stunde ist noch zu früh, in beiden noch die Leidenschaft zu groß, der Nerv des Zeitlichen zu überreizt, als daß sie sich zueinander finden könnten. Noch ist die Lüge stark in der Welt, zuviel Nebel zwischen den Grenzen. Noch steigt die Flut, die unendliche des Hasses und des Irrtums. Noch erkennen sich die Brüder im Dunkel nicht.

Der Briefwechsel mit Verhaeren
    B einahe zur gleichen Stunde wie zu Gerhart Hauptmann, dem Deutschen, spricht Rolland zu Emile Verhaeren, dem Belgier, der aus einem begeisterten Europäer der erbittertste Feind Deutschlands geworden ist. Daß er es nicht immer gewesen, darf vielleicht keiner berufener bezeugen als ich selbst: nie hatte Verhaeren im Frieden ein anderes Ideal gekannt als das der Brüderlichkeit und des einigen Europas, nichts mehr verabscheut als den Völkerhaß, und in der kurz vor dem Kriege geschriebenen Vorrede zur Anthologie deutscher Dichter von Henri Guilbeaux hat er von »der Glut der Völker« gesprochen, die trotz jener, »die sie in den Kampf gegeneinander treiben wollen, sich suchen und lieben«. Erst der Einbruch Deutschlands in seine Heimat lehrt ihn zum ersten Male das Gefühl des Hasses, und seine Dichtung, bisher Hymnus der schöpferischen Kräfte, dient nun mit aller bewußten Leidenschaft der Feindseligkeit.
    Rolland hatte an Verhaeren seinen Protest gegen die Zerstörung von Löwen und die Beschießung der Kathedrale von Reims gesandt. Verhaeren stimmt zu und schreibt »Traurigkeit und Haß erfüllen mich. Dieses letzte Gefühl war mir bislang fremd: nun lernte ich es kennen. Ich kann es nicht aus mir treiben und glaube doch ein anständiger Mensch zu sein, für den der Haß früher ein niedriges Gefühl war. Wie liebe ich in dieser Stunde mein Vaterland oder vielmehr den Aschenhaufen, zu dem es geworden ist«. Rolland antwortet ihm sogleich: »Nein, hassen Sie nicht! Weder für Sie noch für uns darf es den Haß geben. Wehren wir uns gegen den Haß noch mehr als gegen unsere Feinde! Später werden Sie sehen, daß diese Tragödie noch furchtbarer war als man es wußte, solange wir noch in ihr befangen waren. Auf allen Seiten ist eine düstere Größe und über den Massen der Menschen ein heiliges Delirium… Das europäische Drama hat einen solchen Gipfel erreicht, daß es ungerecht wäre, dafür die Menschen anzuklagen. Es ist ein Krampf der Natur… Bilden wir eine Arche wie jene, die die Sintflut sahen, und retten wir den Rest der Menschheit.«
    Verhaeren aber weicht mit Respekt dieser Aufforderung aus. Er bleibt bewußt bei seinem Haß, obzwar er ihn nicht liebt, und in der Widmung an sich selbst in seinem bedauerlichen Kriegsbuche, worin er sagt, da sein Gewissen durch den Haß, in dem er lebe, sich gewissermaßen gemindert empfinde, widme er dies Buch dem Manne, der er einst gewesen, sehnt er sich nach jenem alten Gefühl des Allumfangens der Welt. Vergebens wendet sich Rolland noch einmal an ihn in einem wundervollen Brief: »Wie sehr müssen Sie, mein Gütiger und Großer, gelitten haben, um dermaßen zu hassen. Aber ich weiß, lange werden Sie es nicht vermögen, mein Freund, nein, denn Seelen wie die Ihre würden in einer solchen Atmosphäre umkommen. Der Gerechtigkeit muß Genüge geleistet werden, aber die Gerechtigkeit fordert nicht, daß man alle Menschen eines Volkes für die Verbrechen einiger hundert Individuen verantwortlich macht. Und gebe es nur einen Gerechten in ganz Israel, so sage ich Ihnen, daß Sie nicht das Recht hätten, ganz Israel zu verurteilen. Denn auch Sie zweifeln nicht daran, daß viele Seelen in Deutschland und Österreich, die unterdrückt und geknebelt sind, leiden und ringen… Tausende Unschuldiger werden überall den Verbrechen der Politik

Weitere Kostenlose Bücher