Sterntaler: Thriller (German Edition)
durch die Luft flog. Wie ein Vogel, hatte Peder gedacht. Bis Jimmys Körper mit furchtbarer Wucht auf den Boden krachte und sein Kopf auf der harten Oberfläche eines Steins aufschlug.
Vielleicht war es diese Erfahrung, die ihn aus dem Gleichgewicht geworfen hatte, als Ylva depressiv wurde. Er war wie programmiert darauf gewesen, dass schwere Verletzungen kein Ende fanden. Deshalb hatte er sie auch so übel im Stich gelassen und ihr Vertrauen missbraucht.
Doch sie hatte ihn wieder aufgenommen. Er würde sie nie wieder verlassen.
Jimmys Stimme im Hörer wurde leiser. »Da draußen steht jemand.«
Peder hörte kaum hin. »Dann musst du ihn wohl reinlassen. Oder sie.«
»Es ist ein Mann. Er guckt durch das Fenster.«
Peder legte das Papier weg, das er gerade las. »Da steht jemand und sieht durch dein Fenster?«
»Nein, durch das von jemand anders.«
Musste er das ernst nehmen? Jimmys Auffassung davon, was um ihn herum geschah, war oft unzuverlässiger als die eines Kindes. Er sah, was er sehen wollte, und zog nur die Schlüsse, die ihm Spaß machten.
»Wie sieht er denn aus, der durch das Fenster guckt?«
»Ich kann ihn nicht erkennen, er dreht mir den Rücken zu.«
Peder wusste, wie es da aussah, wo Jimmy wohnte. Mehrere Flachbauten auf einem umzäunten Gelände mit einem herrlichen Park auf der Rückseite. Die betreuten Wohngemeinschaften teilten sich die Anlage mit einem Altersheim. Und von Jimmys Fenster aus sah man auf eines jener Häuser, die zu dem Altersheim gehörten.
Peder versuchte, sich vorzustellen, was der Bruder entdeckt hatte. Einen liebeskranken Alten, der eine Dame ausspähte, in die er sich beim Bingo verliebt hatte?
»Sieht er alt aus?«
»Nicht so schlimm.«
Peder hatte, als Jimmy nach dem Schulabschluss dorthin gezogen war, Einwände gegen die betreute Wohngemeinschaft gehabt. Doch ihre Eltern waren unerbittlich gewesen. Es sei gut für Jimmy, in einer solch ruhigen Umgebung zu leben, ohne viel Jubel und Trubel.
»Jimmy wird nie so werden wie du, ganz gleich wie sehr du es dir wünschst«, hatte seine Mutter gesagt. »Er passt nicht in die Stadt. Das ist nun mal so.«
Im Laufe der Zeit hatte Peder eingesehen, dass dieses Heim genau das Richtige für Jimmy war. Die Welt dort war klein genug, sodass der Bruder sich groß fühlen konnte. Das war viel wert.
»Er hat sich umgedreht«, flüsterte Jimmy jetzt mit ängstlicher Stimme. »Er guckt mich an.«
Mit einem Mal übertrug sich die Angst auf Peder. »Verdammt, geh weg vom Fenster!«
Er hörte Jimmy mit dem Telefon in der Hand den Korridor entlanglaufen und dann im Hintergrund die Stimme einer der Frauen, die bei ihm in der Gruppe wohnte.
»Was hast du dir denn jetzt wieder ausgedacht, Jimmy?«
Peder seufzte. Wieder ein Sturm im Wasserglas. Er beendete das Gespräch, legte das Handy beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Fall.
Fredrika hatte eine Verbindung zwischen dem Unternehmensvorstand Morgan Axberger und Thea Aldrin ausfindig gemacht, und zwar durch einen Filmclub, der seit den Siebzigerjahren nicht mehr aktiv war. Wenn Valter Lund nicht ausgerechnet im Axberger-Konzern angestellt wäre, dann wäre Morgan Axberger vollkommen uninteressant.
Vielleicht war er das ja ohnehin. Peder fand diesen Filmclub insgesamt zwar uninteressant, aber vielleicht war die Sache es doch wert, dass man ihr nachging.
Fredrika hatte herausgefunden, dass der Club für viel Wirbel in den Medien gesorgt hatte. Da musste doch etwas im Internet zu finden sein.
Er rief den Namen des Clubs auf, »Sterntaler«, und bekam viel zu viele Treffer. Dann suchte er nach »Sterntaler« und »Thea Aldrin« – schon weniger Treffer. Er fand Artikel und Bilder, die er jedoch nicht alle würde durchsehen können. Mit der Hand an der Maus verschaffte er sich einen Überblick und sah sich ein paar Fotos an. Er war derselben Ansicht wie Fredrika, kannte weder Namen noch Gesichter – außer Thea Aldrin und Morgan Axberger.
Ein letzter Klick, ein letztes Bild.
Und da fand er, was er am wenigsten gesucht hatte.
Den Namen Spencer Lagergren in einer Bildunterschrift. Neu gewähltes Mitglied des Clubs. Mit Verbindungen sowohl zu Thea Aldrin als auch zu Morgan Axberger.
Peder saß lange vor dem Computer und versuchte zu verarbeiten, was er gerade gesehen hatte. Und es kam ihm ein bedrückender Gedanke: Es war schlicht und ergreifend ausgeschlossen, dass Fredrika nicht auf dieselbe Information gestoßen war.
Vernehmung des Zeugen ALEX RECHT , 03.05.2009, 10
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