Stiller Zorn: Roman (German Edition)
gegen die Wand gerannt und hast gesagt, du suchst das Klo. Die Jungs haben dich aufgegriffen, ich bin vorbeigekommen, hab mir die Sache angeschaut und ihnen gesagt, dass sie dich hierherbringen sollen.«
»Man dankt.«
»Das hab ich nicht gehört.« Er schaute mich scharf an. »Du hast mir einiges eingebrockt, Lew. Mehr als ich mir von irgendjemand andrem hätte bieten lassen. Eins aber hast du nie gemacht – mich angeschissen, nicht ein Mal.«
»Stimmt. Aber wann und wie komm ich aus dem Rattenloch hier raus?«
»Du bist von Gerichts wegen eingewiesen, alter Freund. Für die Zeitdauer, wie es juristisch so schön heißt, die für eine angemessene Beobachtung erforderlich ist.«
»Was so viel heißt, wie dass ich auf Gedeih und Verderb denjenigen ausgeliefert bin, für die ich nichts als eine jederzeit verfügbare Einnahmequelle bin.«
»Lew. Denk doch mal dran, wie du drauf gewesen bist.«
»Hast du die Typen kennengelernt, Don? Ich wollte einem die Hand geben und hab gedacht, der hüpft übers Sofa und rennt aus der Tür. Mein sogenannter Sozialarbeiter hat eine amerikanische Flagge am Revers stecken. In jedem Scheißwinkel von dem verfluchten Laden läuft Muzak, sogar auf dem Klo. Gestern hab ich eine Synthesizerversion von Bessie Smiths ›Empty Bed Blues‹ gehört.«
»Es wird wieder besser, Lew.«
»Jetzt verscheißerst du mich. Nichts wird besser, Don. Es wird bestenfalls anders.«
Er stand einen Moment lang da, dann sagte er: »Scheint fast so, nicht wahr? Ich tu, was ich kann, Lew. Geld, eine Unterkunft, jemand, mit dem du reden kannst. Sag mir Bescheid.«
»Mach ich.«
Er nickte und ging.
In dieser Woche kam man zu dem Schluss, dass die Entgiftung abgeschlossen war, und setzte die Beruhigungsmittel ab. Ich fühlte mich ziemlich tattrig, und die Träume waren nicht annähernd so interessant, aber allzu schlimm war’s nicht. Alles Weitere, sagten sie, (sie waren zu dritt und redeten hinter Stapeln von Aktenordnern über mich, während ich mit übergeschlagenen Beinen auf einem Klappstuhl vorn im Zimmer saß), könnte ambulant behandelt werden. Zwei Tage danach ließ man mich raus. Don hatte ein paar Klamotten vorbeigebracht. In einem neuen, marineblauen Polohemd und Gabardinehosen saß ich einem glupschäugigen Kassenverwalter gegenüber und glotzte ihn an, bis er mit dem Gezeter von wegen der Rechnung und der bei Entlassung fälligen Zahlung aufhörte und meinte, na schön, ich könnte gehen.
Draußen war es kühl und bedeckt – grau in grau. Die Welt wirkte nicht viel anders, als ich sie in Erinnerung hatte, bevor ich mich eine Weile ausgeklinkt hatte, nur lauter, schneller. Aber andererseits war es auch nicht die Welt, die sich verändert hatte. Ich kam mir vor wie jemand, der lange unter Wasser gewesen ist und zum ersten Mal wieder frische Luft schnappt. Und gleichzeitig war ich völlig fertig, überwältigt von so viel Angebot, Nachfrage und Neuem.
Ich nahm ein Taxi zum Napoleon House – Don hatte neben den Klamotten auch ein bisschen Geld dagelassen – und bestellte mir einen doppelten Scotch. Saß zwei Stunden da, schaute ihn an und ließ mich von den Kellnern anschauen. Dann stand ich auf und ging.
Ich wusste wirklich nicht, wohin ich sollte. Die Miete fürs Büro hatte ich schon lange nicht mehr gezahlt, und eine Wohnung hatte ich bestimmt auch nicht mehr. Die Sonne geht unter, die finstre Nacht sucht dich heim. Schließlich machte ich bei einer Telefonzelle halt, warf einen Nickel rein und wählte Vernes Nummer, die neue.
»’lo«, meldete sie sich.
»Lew hier, Verne.«
Einen Moment Schweigen.
»Die Vergangenheit werden wir nicht los, auch wenn wir uns noch so reinhängen, oder?«, sagte sie. »Tut mir leid, ich hab’s nicht so gemeint, wie es womöglich geklungen hat. Wie geht’s dir, Lew?«
»Besser.«
»Ich hab’s gehört.«
»Von Walsh?«
»Mein Mann geht mit einem von den Ärzten, die im Touro auf dich aufgepasst haben, Golf spielen. Kommst du wieder zurecht, Lew?«
»Ich versuch’s zumindest. Aber ich brauch eine Bleibe.«
»Ganz einfach. Zieh in die alte Wohnung an der Daneel. Ich hab sie aus lauter Sentimentalität behalten. Der Schlüssel liegt an der üblichen Stelle.«
»Danke, Verne. Mach’s gut.«
»Lew! Einen Moment. Jemand hat deinetwegen angerufen – hätt ich fast vergessen. Weiß der Herrgott, woher der die Nummer hier hat. Augenblick. Ich hab’s mir hier irgendwo notiert … William Sansom. Sagt dir das was?«
»Nie gehört.«
»Du
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