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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zum Scheitern verurteilt war. Rhys war ein junger Mann, den ein Mangel an Selbstbeherrschung und maßlose Begierden erst zum Vergewaltiger, dann zum Mörder hatten werden lassen. Seltsamerweise aber waren es die Schläge, die Monk ihm nicht verzeihen konnte. Sie schienen ihm mehr als all die anderen Verbrechen eine unnötige Grausamkeit zu sein.
    Nichtsdestoweniger wollte er es versuchen, um Hesters willen. Er hatte sein Versprechen gegeben, vielleicht von den Gefühlen des Augenblicks fortgerissen, und jetzt mußte er Wort halten.
    Trotzdem galten seine Gedanken, als er nach St. Giles zurückkehrte, weniger Rhys als anderen Dingen. Die Verachtung in den Blicken der Menschen, die ihn früher gekannt hatten, ließ ihn nicht los. Sie hatten keinen Hehl daraus gemacht, daß Runcorn ihnen lieber war, daß er ihnen leid tat. Runcorn, wie er heute war, machte Monk wütend. Er war selbstherrlich, engstirnig und egoistisch. Aber vielleicht war er nicht immer so gewesen. Es war durchaus denkbar, daß, was immer zwischen ihnen vorgefallen sein mochte, zu einer Verzerrung seines ursprünglichen Wesens beigetragen hatte.
    Wenn irgend jemand Monk das als Ausrede für sein eigenes Verhalten präsentiert hätte, hätte er es als genau das zurückgewiesen – als Ausrede. Wenn Runcorn nicht die Kraft, den Anstand oder den Mut aufbrachte, sich darüber zu erheben, dann hätte er, Monk, dazu in der Lage sein müssen. Anderen gegenüber konnte er eine Milde walten lassen, die er für sich selbst nicht hätte geltend machen können.
    Monk befand sich nun in der Oxford Street und ging Richtung Süden. Gleich würde der Hansom stehenbleiben und ihn aussteigen lassen. Den Rest des Weges wollte er zu Fuß zurücklegen, obwohl er noch nicht genau wußte, wohin er sich wenden sollte. Um ihn herum herrschte dichter Verkehr, von überall her wurden Rufe laut, das Wiehern der Pferde, das Knarren der Geschirre und das leise Zischen der Räder im Regen vermischten sich miteinander zu einem altvertrauten Geräusch.
    Er mußte sich auf Rhys Duff konzentrieren. Wonach konnte er suchen? Was konnte man als mildernde Umstände in Betracht ziehen? Ein Unfall kam nicht in Frage. Es mußte ein vorsätzlich geführter Kampf gewesen sein, der solange ausgefochten worden war, bis beide Männer sich nicht einmal mehr hatten bewegen können. Provokation? Das war ein Argument, das man für Leighton Duff in die Waagschale hätte werfen können, Zorn und Entsetzen über die Entdeckung dessen, was sein Sohn getan hatte. In Rhys’ Fall hatte keine Provokation vorgelegen, und es wäre unglaubwürdig gewesen, etwas Derartiges zu behaupten. Es sei denn, da wäre noch etwas anderes gewesen. Irgendein anderer Streit, der seinen Höhepunkt in der Water Lane erreicht hatte. Würde das irgend etwas entschuldigen? Waren Umstände denkbar, unter denen man ein derart gewalttätiges Ende, einen Mord, verstehen konnte? Monk konnte sich nichts Derartiges vorstellen. Leighton Duff war nicht an einem Schlag auf den Schädel gestorben, der auf einen einzigen schrecklichen Augenblick der Unbeherrschtheit zurückzuführen gewesen wäre. Man hatte ihn zu Tode geprügelt, Schlag um Schlag.
    Der Hansom blieb stehen, Monk stieg aus und bezahlte den Kutscher, bevor er durch den Regen auf die erste Gasse zuging, die von der Straße abzweigte. Der Geruch des Schmutzes wurde ihm langsam vertraut, die schmalen, grauen Gebäude, die schiefen Mauern, das Gefühl, daß die knarrenden Gebäude jeden Augenblick einstürzen mußten, während der Wind lose herabhängende Leinwand aufblähte oder durch zerbrochenes Glas pfiff.
    Das »Heilige Land« hatte vor zwanzig Jahren schon genauso ausgesehen, nur war es damals gefährlicher. Monk schlug den Kragen hoch und schob die Hände tiefer in seine Taschen. Es war nutzlos, den Pfützen ausweichen zu wollen; die Rinnsteine flössen überall über. Die einzige Lösung dieses Problems war die, eigens für solche Zwecke alte Stiefel aufzubewahren.
    Was hatte Leighton Duff an jenem Abend veranlaßt, Rhys zu folgen? Hatte er irgend etwas bemerkt, das ihn voller Entsetzen hatte begreifen lassen, was sein Sohn tat? Was konnte das gewesen sein, und warum hatte Evan es nicht gefunden? Hatte Leighton Duff es zerstört oder mitgenommen, um Rhys damit zu konfrontieren? Wenn ja, warum hatte man es dann nicht bei seiner Leiche gefunden? Rhys hatte den Schauplatz nicht verlassen. Hatten dann vielleicht Arthur oder Duke Kynaston den Beweis mitgenommen und anschließend

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