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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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hinunterzuschlucken und nestelte mit fahrigen Händen am Türgriff, um aus dem Wagen zu kommen.
    Vielleicht wollte sie nur hinausstürzen, um das Wageninnere nicht mit Erbrochenem zu beschmutzen, aber wenn sie erst einmal draußen war, würde sie vielleicht versuchen zu fliehen, nicht nur vor dem unentrinnbaren Spuk in ihrem Kopf, sondern auch vor Dusty und der Gefahr, ihm in ihrer Raserei etwas anzutun. Er durfte sie nicht weglaufen lassen, denn in ihrer Panik war sie imstande, vor ein Auto zu laufen und sich überfahren zu lassen.
    Martie drückte die Tür einen Spalt auf, und sofort, als hätte er nur darauf gewartet, blies der Wind wütend zum Angriff. Kalte Sturmböen pfiffen derart ins Wageninnere, dass Marties Haar wie eine Flagge im Wind aufflatterte.
    »Raymond Shaw«, sagte Dusty.
    Im tosenden Donner der Sturmartillerie, die ihre heulenden Geschütze in unaufhörlichem Trommelfeuer durch den Türspalt jagte, und unter ihren lauten Angstschreien, hatte Martie den Namen nicht gehört. Sie drückte die Tür ein Stück weiter auf.
    » Raymond Shaw !«, schrie Dusty.
    Weil sie halb von ihm abgewandt war, konnte er nicht hören, was sie sagte, aber sie musste die Worte Ich höre ausgesprochen haben, denn sie erstarrte augenblicklich und wartete reglos und schweigend auf ihr Haiku.
    Rasch beugte er sich über sie und zog die Wagentür zu. Bevor Martie blinzeln und die Trance abschütteln konnte, was sie unweigerlich in ihren Panikzustand zurückkatapultieren würde, nahm Dusty ihr Kinn in die Hand, drehte ihr Gesicht zu sich hin und sagte in die verhältnismäßige Stille hinein: »Vom Westen wehen …«
    »Du bist der Westen und der Westwind.«
    »… die Blätter durch die Lüfte …«
    »Die Blätter sind deine Befehle.«
    »… im Osten strandend.«
    »Ich bin der Osten.«
    Vollständig aktiviert und in Erwartung der Instruktionen starrte sie durch Dusty hindurch, als wäre er und nicht etwa Ahriman jetzt der unsichtbare Geist.
    Dusty musste sich abwenden, so sehr erschütterte ihn Marties ruhiger, ausdrucksloser Blick und der bedingungslose Gehorsam, der darin lag. Sein Herz dröhnte wie ein Dampfhammer, seine Gedanken flogen wie ein Schwungrad im Kreis.
    Sie wirkte jetzt so unvorstellbar verletzlich. Wenn er ihr die falschen Instruktionen gab, sie in Worte kleidete, denen vielleicht unbeabsichtigt eine andere Bedeutung beigemessen werden konnte, würde sie vielleicht in einer für ihn nicht vorhersehbaren Weise darauf reagieren. Die Gefahr, dass er ihr, ohne es zu wollen, nicht wieder gutzumachenden psychischen Schaden zufügte, schien ihm erschreckend groß.
    Als Skeet auf Befehl eingeschlafen war, hatte Dusty ihm nicht ausdrücklich gesagt, wie lange dieser Schlaf dauern sollte. Skeet war über eine Stunde lang durch nichts zu wecken gewesen; aber nichts rechtfertigte die Annahme, dass er nicht auch Tage, Wochen, Monate oder für den Rest seines Lebens hätte schlafen können, mit Apparaten am Leben erhalten in der Hoffnung auf ein Erwachen, das es nie geben würde.
    Bevor er Martie auch nur die einfachste Anweisung gab, wollte sich Dusty genau überlegen, was er sagte. Seine Formulierungen durften keine Doppeldeutigkeiten enthalten.
    Was Dusty belastete, war nicht nur die Angst, Martie unbeabsichtigt Schaden zuzufügen, sondern auch die uneingeschränkte Kontrolle, die er über sie hatte, wie sie so geduldig dasaß und auf seine Instruktionen wartete. Er liebte diese Frau mehr als sein Leben, aber er war der Meinung, dass kein Mensch über einen anderen vollkommene Macht ausüben sollte, so lauter seine Absichten auch sein mochten. Wut vergiftete die Seele weniger als Habgier, Habgier war weniger schädlich als Neid, aber selbst Neid war nicht annähernd so verderblich wie Macht.
    Dürre Piniennadeln wurden gegen die Windschutzscheibe geweht und bildeten wie die Schafgarbenstengel des I-Ging immer neue Muster, aber sofern sie wie dieses uralte Buch der Wandlungen die Zukunft voraussagten, war Dusty zumindest nicht in der Lage, ihre Weissagungen zu entziffern.
    Er sah Martie fest in die Augen, die kurz hin und her zuckten, wie er es auch bei Skeet gesehen hatte. »Martie, ich möchte, dass du mir genau zuhörst.«
    »Ich höre.«
    »Ich möchte, dass du mir sagst, wo du jetzt bist.«
    »In unserem Wagen.«
    »Physisch bist du genau da, das stimmt. Aber mir scheint, dass sich dein Geist an einem anderen Ort befindet. Ich wüsste gern, wo dieser Ort ist.«
    »In meiner inneren Kapelle«, sagte sie.
    Dusty

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