Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
die Gelegenheit ergreifen und Sie, Miss Elisabeth, um die beiden ersten Tänze bitten. Ich hoffe, daß meine Cousine Jane diese Bevorzugung ihrer jüngeren Schwester nicht unrichtig deutet und darin nicht etwa ein ungebührliches Übergehen ihrer Person sieht.«
Elisabeth war erschlagen. Sie hatte sich schon darauf gefreut, diese beiden ersten Tänze Mr. Wickham reservieren zu dürfen — und statt seiner nun dieser Mr. Collins! Noch nie hatte ihre gute Laune ihr einen solchen Streich gespielt. Aber da war nun einmal nichts mehr zu machen. Mr. Wickhams Glück und ihr eigenes — mußte eben ein wenig warten, und sie dankte Mr. Collins mit so guter Miene, wie das schlechte Spiel es ihr gestattete. Der Gedanke, daß seine Höflichkeit gar etwas mehr als Höflichkeit bedeuten könnte, war alles andere als ein Trost. Denn jetzt erst ging es ihr auf, daß offenbar sie von allen ihren Schwestern der Ehre für würdig befunden wurde, Hausfrau im Hunsforder Pfarrhaus zu werden und in Abwesenheit von passenderem Ersatz die Quadrille auf Rosings zu vervollständigen.
Diese Vermutung verwandelte sich schnell in Gewißheit, als sie Mr. Collins’ zunehmende, unablässige Aufmerksamkeit ihr gegenüber beobachtete und seine häufigen Anläufe zu Komplimenten über ihren Witz und ihren Verstand anhören mußte. Das belustigte sie ungemein, auch als Mrs. Bennet sie merken ließ, daß die Möglichkeit einer Heirat wenigstens ihr eine große Freude bereite. Elisabeth zog es jedoch vor, den Wink nicht zu beachten; sie wußte sehr wohl, daß ihre Antwort einen heftigen Streit zur Folge haben würde. Vielleicht unterblieb Mr. Collins’ Antrag doch noch, und auf jeden Fall war es sinnlos, sich schon vorher aufzuregen.
18. KAPITEL
B is zu dem Augenblick, wo Elisabeth das große Gesellschaftszimmer von Netherfield betrat und vergeblich Mr. Wickham in einem der vielen anwesenden roten Röcke zu entdecken versuchte, war ihr nie der Gedanke gekommen, er könne sich vielleicht nicht einfinden. Sie hatte besondere Sorgfalt auf ihr Aussehen verwandt und hatte die bestimmte Absicht, die letzten Verschanzungen seines Herzens zu überwinden; sie traute sich schon zu, diese Aufgabe bequem im Laufe des Abends zu lösen. Und nun war er nicht zu entdecken.
Der schreckliche Verdacht erwachte sogleich in ihr, er sei Mr. Darcy zuliebe absichtlich von der Einladung an die Offiziere ausgenommen worden. Dies stimmte nun zwar nicht; aber die unumstößliche Tatsache seiner Abwesenheit wurde von seinem Freund Mr. Denny mitgeteilt und damit erklärt, Wickham sei in dringlicher Angelegenheit nach London gerufen worden und noch nicht wieder zurückgekehrt; er fügte mit einem vielsagenden Lächeln hinzu:
»Die Angelegenheit wäre wohl nicht so dringlich gewesen, hätte er nicht das Zusammentreffen mit einem der anwesenden Herren vermeiden wollen.«
Elisabeth hörte das und gewann dadurch die Überzeugung, daß Darcy für Wickhams Fernbleiben nicht weniger verantwortlich zu machen sei, als wenn ihr erster Verdacht richtig gewesen wäre. Ihre Enttäuschung verschärfte ihre ursprüngliche Abneigung gegen den Schuldigen in einem solchen Maße, daß sie es nicht über sich bringen konnte, auf seine höflichen Fragen, die er ihr bald darauf stellte, wenigstens mit einem Schein der notwendigen Freundlichkeit zu antworten. Aufmerksamkeit und Geduld einem Darcy gegenüber wären ihr wie Verrat an Wickham vorgekommen. Sie war fest entschlossen, keinerlei Unterhaltung mit ihm zu beginnen und wandte sich ziemlich brüsk ab.
Aber schlechte Laune hielt bei Elisabeth nie lange vor; und wenn der Abend ihr auch verdorben worden war, lange ließ sich ihre natürliche Heiterkeit nicht unterdrücken. Nachdem sie ihren Kummer ihrer Freundin Charlotte Lucas, mit der sie seit einer Woche nicht mehr zusammengekommen war, hatte mitteilen können, verflog ihr Ärger.
Die beiden ersten Tänze brachten erneuten Kummer. Mr. Collins war die Steifheit und Ungeschicklichkeit selbst; er war so damit beschäftigt, sich immer wieder bei ihr zu entschuldigen, daß er auf seine Schritte, die sich nur selten dem Takt anpaßten, nicht im geringsten achtgab; sie litt Tantalusqualen unter der Beschämung, der sie, eine gute Tänzerin, durch einen solchen Tolpatsch ausgesetzt wurde. Der Augenblick, wo sie von ihm loskam, war ein Augenblick reinsten Glückes.
Den nächsten Tanz hatte sie einem der Offiziere versprochen; sie konnte sich dabei erholen und von Wickham sprechen, der sich, wie sie
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