Streiflichter aus Amerika
ist privat und ziemlich exklusiv – sie gehört wie Harvard und Yale zu den Ivy League Colleges, den Eliteuniversitäten –, aber darauf würden Sie nie kommen.
Zu allen ihren Grünanlagen haben wir freien Zutritt. Ja, auch viele ihrer Einrichtungen sind den Bewohnern zugänglich. Wenn wir wollen, können wir die Bibliothek benutzen, die Konzerte besuchen, ja, sogar den Graduiertenabschlußfeiern beiwohnen. Eine meiner Töchter läuft auf der universitätseigenen Eisbahn Schlittschuh, mein Sohn trainiert im Winter mit der Leichtathletikmannschaft seiner High-School auf deren Hallenbahn. Der Uni-Filmclub veranstaltet regelmäßig Filmreihen, zu denen ich oft gehe. Erst gestern abend habe ich mit einer meiner Teenagertöchter auf einer großen Leinwand Der unsichtbare Dritte gesehen und danach Kaffee und Käsekuchen in der Studentencafeteria genossen. Man muß dort nirgendwo Ausweise zeigen oder eine besondere Erlaubnis einholen und bekommt auch nie das Gefühl vermittelt, man sei nicht willkommen.
Solche Dinge verleihen alltäglichen Begegnungen hier eine wunderbare Offenheit und Gleichheit, die man oberflächlich und künstlich nennen mag und manchmal sogar unangebracht, aber sie machen das Leben um ein Erkleckliches weniger steif.
Nur zu einem verhelfen sie einem nicht: zur Sozialversicherungsnummer einer nahen Anverwandten. Bitte lassen Sie mich erklären. Die Sozialversicherungsnummer ist hier lebenswichtig. Sie ist im Grunde das, was einen als Menschen ausweist. In völliger Unkenntnis dieser Tatsache hatte meine Frau leider ihre Karte verlegt. Für irgendein Steuerformular brauchten wir die Nummer aber ziemlich dringend. Was ich auch dem Sozialversicherungsbeamten erklärte, als er wieder an den Apparat kam. Schließlich hatte er mich ja eben erst Bill genannt, weshalb ich Grund zu der Hoffnung hatte, daß wir uns einigen würden.
»Wir sind nur befugt, diese Information der mittels dieser Kennziffer erfaßten Person mitzuteilen«, erwiderte er.
»Sie meinen der Person, die auf der Karte genannt wird?«
»So ist es.«
»Aber das ist meine Frau«, ereiferte ich mich.
»Wir sind nur befugt, diese Information der mittels dieser Kennziffer erfaßten Person mitzuteilen.«
»Damit ich das richtig verstehe«, sagte ich. »Wenn ich meine Frau wäre, würden Sie mir die Nummer am Telefon geben. Ohne weitere Umstände.«
»So ist es.«
»Aber was wäre, wenn jemand einfach nur so täte, als wäre er meine Frau?«
Kurzes Zögern. »Wir würden annehmen, daß die Person, die die Anfrage stellt, diejenige ist, die sich als die mittels dieser Kennziffer erfaßten Person bezeichnet.«
»Einen Moment, bitte.« Ich überlegte eine Minute. Meine Frau war nicht da, ich konnte sie nicht herbeirufen, aber ich wollte das Ganze später auch nicht noch einmal wiederholen. Ich sprach wieder in den Hörer und sagte in meiner normalen Stimme: »Hallo, hier ist Cynthia Bryson. Könnte ich bitte meine Sozialversicherungsnummerhaben?«
Ein nervöses kleines Glucksen erklang. »Ich weiß, daß Sie es sind, Bill«, sagte die Stimme.
»Nein, ehrlich, ich bin Cynthia Bryson. Könnte ich bitte meine Nummer haben?«
»Die darf ich Ihnen nicht geben.«
»Dürften Sie es, wenn ich mit einer Frauenstimme spräche?«
»Leider nicht.«
»Darf ich dann eins fragen? Nur aus Neugierde. Steht die Nummer meiner Frau genau in diesem Moment vor Ihnen auf dem Computerbildschirm?«
»Ja.«
»Aber Sie sagen sie mir nicht?«
»Das darf ich leider nicht, Bill«, sagte er und klang, als sei das sein letztes Wort.
Aus jahrelangen schmerzlichen Erfahrungen weiß ich, daß nicht die geringste Chance besteht – null Komma null –, daß ein amerikanischer Beamter jemals eine Vorschrift frei auslegt, um einem zu helfen. Deshalb verfolgte ich mein Anliegen auch nicht weiter, sondern fragte ihn statt dessen, ob er wisse, wie man Erdbeerlimonadenflecken aus einem weißen T-Shirt herausbekäme.
»Mit Backpulver«, sagte er ohne Zögern. »Lassen Sie es über Nacht einweichen, und es geht alles raus.«
Ich bedankte mich, und wir schieden voneinander.
Es wäre natürlich schön gewesen, wenn ich es geschafft hätte, die Information zu bekommen, die ich brauchte, aber wenigstens hatte ich einen Freund gewonnen, und mit dem Backpulver hatte er recht. Das T-Shirt sieht aus wie neu.
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