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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Feuerbekämpfers. Innerhalb einer Minute bedeckte schwarzweißer Schaum unsere Körper wie Vogelscheiße.
Als unsere Adrenalindrüsen ihre Schleusen geschlossen hatten und das Zittern aufhörte, setzten wir uns mitten in die ruinierte Küche und blickten auf die Haustür, durch die mein Vater jeden Abend um halb zwölf hereinkam. Wir starrten sie an, bis wir beide heulten, und als uns die Tränen ausgegangen waren, blickten wir sie noch immer an.
Als meine Mutter von der Arbeit nach Hause kam, hatten wir den ganzen Qualm aus der Wohnung gewedelt, alle versengten Flecke von Kühlschrank und Ofen gewischt, die Streifen verkohlter Tapete und die Reste des Vorhangs weggeworfen. Meine Mutter betrachtete die schwarze Wolke, die in ihre Decke gebrannt worden war, und die versengte Wand, setzte sich an den Küchentisch und blickte volle fünf Minuten lang ausdruckslos auf etwas in der Speisekammer.
Erin fragte: »Mum?«
Meine Mutter blinzelte. Sie sah meine Schwester an, dann mich, dann die Wodkaflasche auf der Spüle. Sie legte den Kopf schräg und sah uns an. »Wer von euch… ?«
Ich konnte nichts sagen, sondern wies mit dem Finger auf meine Brust.
Meine Mutter ging in die Speisekammer. Obwohl sie eine kleine, dünne Frau war, bewegte sie sich mit langsamen, schweren Schritten, als hätte sie Übergewicht. Sie kehrte mit Bügeleisen und Bügelbrett zurück und baute beides mitten in der Küche auf. In Krisenzeiten verfiel meine Mutter immer in Routine, und jetzt war es Zeit, die Uniform meines Vaters zu bügeln. Sie öffnete das Fenster und zog die Kleidungsstücke an der Wäscheleine herein. Mit dem Rücken zu uns befahl sie: »Geht in eure Zimmer. Mal sehen, ob ich mit eurem Vater sprechen kann.«
Ich setzte mich auf die Bettkante und beobachtete die Tür. Das Licht ließ ich aus, die Augen hielt ich geschlossen, die Hände hatte ich fest zusammengepreßt.
Als mein Vater nach Hause kam, war in der Küche nichts von seinem üblichen Gepolter zu hören - den Henkelmann auf den Tisch werfen, Eiswürfel in einem Glas klappern lassen, sich schwer auf einen Stuhl sinken lassen, bevor der Drink eingegossen wurde. In jener Nacht hielt die Stille in der Wohnung so lange an, war so schwer und so erfüllt von Angst, wie ich es nie wieder erlebt habe.
Meine Mutter fing an: »Eine Dummheit, sonst nichts.« »Eine Dummheit«, wiederholte mein Vater.
»Edgar«, mahnte meine Mutter.
»Eine Dummheit«, sagte mein Vater noch mal.
»Er ist erst elf. Er ist in Panik geraten.«
»Ähem«, erwiderte mein Vater.
Was dann passierte, schien sich in dieser seltsam komprimierten Zeit zu ereignen, die Menschen erleben, wenn sie einen Autounfall haben oder eine steile Treppe runterfallen: Alles geschieht in Windeseile und gleichzeitig ganz langsam. Innerhalb einer Sekunde zieht das ganze Leben in seinen winzigsten Details an einem vorbei.
Meine Mutter schrie: »Nein!«, und ich hörte das Bügelbrett auf den Linoleumboden in der Küche poltern und die Schritte meines Vaters auf den Dielenplanken zu meinem Zimmer hämmern. Ich versuchte, die Augen geschlossen zu halten, doch als er die Tür eintrat, kratzte mich ein Holzsplitter am Wangenknochen. Als erstes erblickte ich das Bügeleisen in der Hand meines Vaters, Kabel und Stecker fehlten. Mit dem Knie stieß er mir gegen die Schulter, so daß ich rückwärts aufs Bett fiel. Er fragte: »Du willst also unbedingt wissen, wie sich das anfühlt, Junge?«
Ich sah ihm in die Augen, weil ich das Bügeleisen nicht ansehen wollte, und in den dunklen Pupillen erblickte ich eine entmutigende Mischung aus Wut, Angst, Haß, Wildheit und Liebe, ja, auch eine seltsam verwilderte Form von Liebe.
Und darauf fixierte ich meinen Blick, daran klammerte ich mich, zu ihr betete ich, während mir mein Vater das Hemd bis zum Brustbein hochriß und das Bügeleisen auf den Bauch preßte.
    Angie hatte mal gesagt: »Vielleicht ist das ja Liebe: Die eigenen Wunden zählen, bis einer sagt: ›Schon gut.‹«
Vielleicht.
Ich saß am Schreibtisch und schloß die Augen mit der Gewißheit, daß ich niemals schlafen würde, solange das Adrenalin in meinem Blut raste, und als ich eine Stunde später aufwachte, klingelte mein Telefon.
Ich brachte meinen Namen kaum heraus, weil mich Angies Stimme unterbrach. »Patrick, komm schnell rüber! Bitte.«
Ich griff nach meiner Pistole. »Was ist los?«
»Ich glaube, ich habe mich gerade scheiden lassen.«

28_____
    Als ich bei ihr ankam, stand ein Mannschaftswagen in zweiter Reihe vor dem

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