Sturmwelten 01
überhaupt reagieren konnte, schlug die Tür wieder zu. Vorsichtig tastete er umher, stets in Sorge, er könne das kostbare Wasser verschütten. Denn obwohl der Raum feucht und trotz der Hitze, die draußen herrschen musste, sogar klamm war, war das Wasser auf den Planken salzig und brackig. Bislang hatte er seinen Durst beherrschen können, doch die nassen Taue waren ihm allmählich immer verlockender erschienen.
Endlich fand er den Krug und setzte ihn an die Lippen. Das Wasser war warm, doch es schmeckte besser als so mancher Wein, den er schon getrunken hatte. In der Schüssel befand sich Schiffszwieback und eine weiche Masse; vermutlich ein Eintopf. Eigentlich war er dankbar, dass er Farbe und Konsistenz nicht sehen musste. Sieh an, dachte Jaquento, während er das Essen mit bloßen Fingern in sich hineinstopfte , es hat auch seine Vorteile, wenn man im Dunkeln gefangen gehalten wird. Als er die Schüssel restlos ausgekratzt hatte, leckte er sich die Finger sauber und legte sich wieder zurück auf sein Lager.
Im Kopf ging er immer wieder seine Möglichkeiten durch, was nicht lange dauerte, denn er hatte kaum welche. Ein Angriff auf Quibon bei dessen nächstem Besuch wäre zum Scheitern verurteilt; der Kapitän würde darauf achten, immer die besseren Karten in der Hand zu halten. Ohne Waffen sah es finster aus. Aber es missfiel Jaquento, sich dem Tyrannen kampflos zu ergeben. Dennoch gebot es wohl die Vernunft, sich zunächst in sein Schicksal zu fügen und später nach einer Möglichkeit zur Flucht zu suchen. Vermutlich ist diese Kammer während des bevorstehenden Gefechts der sicherste Ort auf dem ganzen Schiff. Solange niemand die Windreiter versenkt, wird mir kaum etwas passieren. Und wenn Quibon seine Ankündigung in die Tat umsetzen wollte, musste er Jaquento irgendwann an Sklavenhändler oder -halter übergeben. Irgendwann würde sich eine Tür öffnen, und dann musste er bereit sein.
Was ihn am meisten quälte, war der Gedanke an die Sklaven. Auf sein Wort hin würden sie sich erheben, und aufgrund seines Wortbruchs würden sie alle sterben. Er dachte an das Paranao-Mädchen mit den brennenden Augen. Sie vertraute auf ihn, und er würde keine Möglichkeit haben, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.
Die Zeit verging schleppend. Zwischen Wachen und Schlafen verschwamm bald jede Grenze. Tagträume wurden zu Träumen, das Pläneschmieden ging nahtlos in die Domäne des Schlafes über. Noch versuchte Jaquento, die Zeit anhand der Geräusche über ihm festzuhalten, doch schon konnte er nicht mehr sagen, wann eine Wache wechselte, und ob es Tag oder Nacht war. Es gab erst einmal Essen, und mein Magen knurrt wie ein wilder Hund. Wenn ich Kanonendonner höre, ist bald
eine Woche vergangen. Schlimmer als der Hunger war der Durst. Der Wassermangel verwirrte seine Gedanken, und der Wunsch, sich am Salzwasser zu laben, wurde immer stärker, auch wenn dem jungen Hiscadi die Geschichten über die Folgen wohlbekannt waren.
Schamvoll musste er sich in einer Ecke seines Gefängnisses erleichtern, doch wenigstens verlor sich der Geruch in der muffigen Atmosphäre der faulenden Taue. Wie schnell man doch alles hinter sich lässt. Erziehung, Anstand, Reue. Das nackte Überleben duldet kein Zögern. Geht das allen Menschen so? Sosehr er sich auch anstrengte, er konnte sich seine Mutter nicht in seiner Situation vorstellen. Vermutlich würde sie eher sterben, als ihren Rock zu lüften und in die Ecke zu machen.
Manchmal sah er im Halbschlaf Pertiz vor sich. Pertiz, der zu Lebzeiten gesoffen, gehurt und gekämpft hatte und der aufrecht gestorben war. Ist es das wert gewesen, mein Freund?
Unvermittelt knarrten mittschiffs die Planken. Als die Tür geöffnet wurde, war Jaquento vom Licht geblendet, obwohl es nur ein kleines Talglämpchen war, das eine Hand in den Raum hineinhielt. Vorsichtig huschten zwei Gestalten in die Brig und verschlossen die Tür hinter sich. Unmerklich spannte der junge Hiscadi sich an, denn er erwartete fast schon Folter oder zumindest eine Abreibung, doch dann klärte sich seine Sicht, und er erkannte Bihrâd und Manoel, die vor ihm hockten. Der junge Maestre schüttelte die Zöpfe, während der Maureske Jaquento stumm anstarrte.
»Du siehst beschissen aus«, hob Manoel an, woraufhin sich Jaquento mit einem Seufzen zurücklehnte.
»Du bist nicht der Erste, der mir das sagt.«
»Das sollte dir zu denken geben.«
»Der Erste war Kapitän Quibon. Auf dessen Wort ich nicht allzu viel gebe. Wie ist
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