Sturz Der Engel
mehrmals tief durch und konzentrierte sich auf das, was am Tisch gesprochen wurde, blieb aber vorerst noch am vereisten und mit Schnee bedeckten Fenster stehen.
»Ich würde sagen, ein Schaf jetzt und ein weiteres in einem Achttag … zwei Hühner … legen in drei Tagen … das bedeutet, dass wir noch acht ausgewachsene und vier Junghennen haben.«
»Pferde?«, fragte Ryba.
»Da ist ein alter Klepper, ein Wallach, der sich kaum noch bewegen kann.«
»Kyseen soll sehen, ob sie ihn gebrauchen kann. Beginnt mit dem Klepper, nicht mit den Schafen. Ein Schaf gibt Wolle und Milch. Ein Pferd, das nicht mehr arbeiten und als Zuchthengst nicht zu gebrauchen ist, ist nutzlos.«
Nylan fragte sich, ob er selbst eines Tages auch so ein alter Klepper werden würde. Er schürzte die Lippen und wartete, bis Saryn draußen war. Dann ging er zu Ryba, die gerade vom Tisch aufstand. »Kurz und gut«, begann er, »es sieht schlecht aus und es wird noch lange dauern, bis der Schnee schmilzt.«
»Das ist nicht das Problem«, erwiderte die Marschallin. »In schätzungsweise drei Achttagen wird es wärmer werden. Aber es wird wohl noch bis zu acht Achttage dauern, ehe das Frühlingswachstum einsetzt, also bis die Tiere draußen etwas zu fressen finden und Ayrlyn Lebensmittel eintauschen kann.«
»Acht Achttage? Das wird hart, sehr hart.«
»Noch härter. Viel härter.« Ryba ging die Treppe zur Küche hinunter.
LVIII
D er große Mann glättet den Samtmantel, bevor er das Turmzimmer betritt.
»Es ist mir eine Ehre, dass Ihr mich empfangt, Fürstin Ellindyja«, sagt der große Händler.
Fürstin Ellindyja macht ihm in der Türe Platz und nickt leicht. »Es freut mich, dass Ihr eine Frau aufsucht, deren Blütezeit vorbei ist.« Sie kehrt zu ihrer gepolsterten Bank zurück, Lygon folgt ihr.
Als sie sitzt und sich umdreht, nimmt sie den Stickrahmen und sucht lächelnd die Nadel mit dem hellroten Faden.
»Ach, meine Dame, Ihr …«
»Lygon, Ihr seid Kaufmann und seit nunmehr zwanzig Jahren ein äußerst ehrenhafter Handelspartner für Lornth.«
»Das ist wahr.« Lygon fährt mit der Hand durchs schüttere braune Haar und lässt sich Ellindyja gegenüber auf einem Stuhl nieder. »Auch vor mir selbst möchte ich gern sagen können, dass ich stets gerecht verhandelt habe. Hart, aber gerecht.« Er lacht. »Härte wird manchmal mit Grausamkeit verwechselt, aber ohne Gewinn gibt es keinen Handel.«
»So ähnlich ist es bei Herrschern. Ohne Ehre keine Herrschaft.« Ellindyjas Nadel schwebt über dem weißen Stoff und sucht die richtige Stelle.
Lygon rutscht ein wenig auf dem Stuhl herum. »Ich würde sagen, dass Fürsten genau wie Händler auf ihre Ehre bedacht sein sollten. Alle beide brauchen Ehre.«
»Wie wirkt sich denn die Ehre auf die Börse eines Händlers aus?«, fragt Ellindyja beinahe beiläufig.
»Die Leute müssen überzeugt sein, dass Ihr liefert, was Ihr zugesagt habt, und dass Eure Waren so gut sind, wie Ihr behauptet habt.«
»Schreibt Ihr den Leuten vor, was sie kaufen sollen?«
Lygon runzelt die Stirn. »Schwerlich. Man kann den Leuten keine Dinge verkaufen, die sie nicht haben wollen.«
»Ich fürchte, das Gleiche gilt auch fürs Regieren«, erwidert Ellindyja, die Augen wieder auf die Stickarbeit gerichtet, während sie mit der Nadel arbeitet. »Die Herren eines Landes haben gewisse Erwartungen, wie Euch doch sicherlich bekannt sein dürfte?«
»Ich bin Kaufmann, meine Dame, kein Fürst.« Lygon regt sich unruhig.
»Ich weiß und Ihr würdet doch sicher gern die Handelsbeziehungen mit Lornth fortsetzen, nicht wahr?«, fragt Ellindyja lächelnd.
»Meine Dame …« Lygon will aufstehen.
»Bitte, so bleibt doch sitzen, Kaufmann Lygon. Ich drohe Euch nicht, denn ich verfüge ganz sicher nicht über die Macht, um zu drohen. Ich schmiede keine Ränke und keine Pläne, denn mir liegt nur das Beste meines Sohnes am Herzen. Aber wie jede Mutter mache ich mir manchmal Sorgen und meine Sorgen haben mit der Ehre zu tun.« Mit einem offenen Lächeln heftet Ellindyja den Blick auf Lygon. »Ihr seid ein ehrenwerter Mann und Ihr versteht, was der Handel und die Ehre bedeuten. So hoffe ich auf Eure Unterstützung, damit mir die Sorgen genommen werden können.« Sie hebt ein wenig die Hand mit der Nadel, um seinen Einwänden zuvorzukommen. »Was ich von Euch haben möchte, wird Euch weder Geld kosten noch böses Blut machen. Ich wünsche, dass Ihr meinem Sohn einen klugen Rat gebt, wenn der Augenblick richtig scheint.
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