Süße Teilchen: Roman (German Edition)
Allford geheiratet hat, den bestaussehenden Jungen der Schule. Die beiden haben ein vierstöckiges Haus in West Hampstead gekauft und zwei wunderschöne blonde Kinder bekommen. Die Kinder sieht man gelegentlich im Pizza Express . Sie wälzen sich auf dem Fußboden und brüllen, dass sie noch mehr Eis wollen.
Eines Tages geht Juliet Allford an den Laptop ihres Mannes und entdeckt auf seiner Facebook-Seite, dass er mit einer Frau obszöne Nachrichten tauscht. Der Name der Frau kommt ihr irgendwie bekannt vor. Sie glaubt sich zu erinnern, ihn auf der Teilnehmerliste einer Konferenz der Credit Suisse gesehen zu haben, für die ihr Mann vor einem Jahr nach Prag geflogen ist. Er hatte seinen Rückflug verpasst und dem Prager »Straßenverkehr« die Schuld gegeben. Juliets heile Welt zerbricht.
Amanda Leicester beendet ihr Studium in Cambridge mit Auszeichnung und nimmt mithilfe von Amphetaminen gewaltig ab. Nur gegen ihr Kinn kann sie nichts machen. Sie wird Anthropologin. Inzwischen hat sie eine eigene wöchentliche Fernsehsendung, und die Kamera lässt das Kinn sehr markant aussehen.
Es gibt zwei Dinge, die ich an Citalopram hasse. Zum einen sind die Tabletten der Beweis, dass es mir an Rückgrat fehlt und ich unfähig bin, ohne ihre Hilfe mit etwas fertigzuwerden, das mit dem Weltgeschehen verglichen nicht mehr als ein abgebrochener Fingernagel ist. Zum anderen ist es die Art, wie die Tabletten angeordnet sind.
Meine Verhütungspillen waren kreisförmig nach Tagen geordnet. Ich konnte sie im Uhrzeigersinn einnehmen und wusste immer, wo ich war. Die kleinen weißen Citalopram, mit der Kerbe in der Mitte, die wie ein geöffneter oder lächelnder Mund aussieht, nimmt man immer von links nach rechts. Ich bin aber an den Kreis gewöhnt und nehme sie im Uhrzeigersinn. Schon in der zweiten Einnahmewoche weiß ich nicht mehr, woran ich bin. Ich liege im Bett, schaue mir die Reihen an und frage mich, ob ich meine Tablette schon geschluckt habe oder nicht. Und ob Mittwoch oder Donnerstag ist. Offen gestanden weiß ich nicht mal genau, welchen Monat wir haben. Um Tag und Monat herauszufinden, muss ich mein Handy konsultieren, was ich für ein ziemlich schlechtes Zeichen halte.
Ich glaube, langsam fangen die Tabletten an zu wirken.
Es ist ein komisches Gefühl, als würden meine Emotionen durch Botox gelähmt, meine Psyche gleicht also praktisch der Stirn von Liz Hurley. Nur meine Gedanken bleiben munter und raunen: Er hat dich nie geliebt, dich kann man nicht lieben, alles ist deine Schuld und so weiter und so fort. Aber wenigstens muss ich jetzt nicht mehr weinen, obwohl ich das eigentlich möchte. Die Tabletten scheinen auch meine Tränendrüsen lahmgelegt zu haben.
Das einzige Gute daran ist, dass ich mich jetzt ungefähr wieder benehme wie ein Mitglied der normalen Gesellschaft. Aus dem Bett zu kommen, fällt mir noch schwer – so schwer, dass ich sechs Jahre nach dem Kauf meines Herds endlich gelernt habe, wie seine automatische Uhr funktioniert. Denn den Wecker kann ich vergessen, selbst dann, wenn ich ihn ins Wohnzimmer stelle, wo er endlos klingelt. Ebenso kann ich Lauras Telefonanrufe vergessen, und wenn sie mich noch so nett bittet, endlich aufzustehen. Auch die bunten Klebezettel auf meinem Nachttisch kann ich vergessen, auf denen steht: »Du bist toll«, »Das Leben ist schön« und »Reiß dich zusammen«.
Es gibt nur eine sichere Methode, um mich aus dem Bett zu holen. Ich muss am Vorabend lediglich ein Pain au Chocolat in den Backofen legen und die Uhr am Herd so einstellen, dass es zwei Minuten nachdem der Wecker morgens dreimal geklingelt hat, aufgebacken ist.
Beim ersten Versuch habe ich die gesamte Ofen-Programmierung durcheinandergebracht und über dem Handbuch bittere Tränen der Frustration vergossen.
Der zweite war noch schlimmer. Zwar war es mir da endlich gelungen, zu verstehen, wie man das Ding programmiert, aber zu zehn zusätzlichen Schlummerminuten rate ich keinem, denn was der Wecker nicht schafft, schafft der Rauchalarm.
Nach dem dritten Tag läuft alles prima. Um zehn Uhr morgens bin ich aus dem Bett und esse ein perfekt aufgebackenes Pain au Chocolat.
Ich bin sehr stolz auf mich.
Außerdem kann ich jetzt wieder lesen. Seit der Begegnung mit Noushka in James’ Haus habe ich nicht mehr gelesen, weder Buch noch Zeitung oder auch nur ein Rezept. Ich habe weder ferngesehen noch Radio gehört, und bei meinem einzigen Kinobesuch musste ich mittendrin gehen.
In einem meiner Bücher stand,
Weitere Kostenlose Bücher