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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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den Verwalter von Les Aigues.
    Er sah einen etwa dreißigjährigen Mann von mittlerer Figur, sauertöpfischer Miene, und widerwärtigem Gesichte, dem das Lachen schlecht stand. Die Augen von einem schillernden Grün unter einer sorgenvollen Stirne flohen einander und verbargen so die Gedanken. Sibilet, der in einen braunen Oberrock, schwarze Hose und Weste gekleidet war, trug lange, schlichte Haare, was ihm ein klerikales Aussehen verlieh. Das Beinkleid verbarg seine krummen Beine nur recht unvollkommen. Obwohl seine bleiche Gesichtsfarbe und seine schlaffen Fleischmassen den Glauben an eine kränkliche Konstitution erwecken mochten, war Sibilet robust. Der Ton seiner etwas klanglosen Stimme stand in Uebereinstimmung mit diesem wenig schmeichelhaften Ensemble.
    Blondet wechselte heimlich einen Blick mit Abbé Brossette, und der Augenwink, mit dem der junge Priester antwortete, lehrte den Journalisten, daß sein Verdacht auf den Verwalter beim Pfarrer eine Gewißheit war.
    »Haben Sie nicht veranschlagt, mein lieber Sibilet,« sagte der General, »daß uns die Bauern den vierten Teil unserer Einkünfte stehlen?«
    »Sehr viel mehr, Herr Graf,« antwortete der Verwalter.
    »Ihre Armen streichen mehr von Ihnen ein, als der Staat Ihnen abverlangt. Ein kleiner Schelm wie Mouche stoppelt täglich seine zwei Scheffel; und die alten Weiber, von denen Sie meinen könnten, daß sie im Sterben lägen, sind zur Stoppelzeit von einer erstaunlichen Schnelligkeit, Gesundheit und Jugend. – Sie können Zeuge von diesem Phänomen sein,« sagte Sibilet, sich an Blondet wendend, »denn in sechs Tagen soll die durch die Regen des Julimonats hinausgeschobene Ernte anfangen ... Roggen soll nächste Woche gemäht werden... Man dürfte nur mit einem, vom Gemeindevorstand ausgefertigten Armutszeugnisse stoppeln; und vor allem dürften die Gemeinden auf ihren Gebieten nur ihre Bedürftigen Aehren lesen lassen, aber die Gemeinden eines Bezirks stoppeln bei den anderen und umgekehrt ohne Zertifikat. Wenn wir sechzig Arme in der Gemeinde haben, so finden sich vierzig Nichtstuer hinzu. Kurz, selbst angestellte Leute verlassen ihre Beschäftigungen, um zu stoppeln und Nachlese zu halten. All diese Leute ernten hier dreihundert Scheffel täglich; da die Ernte vierzehn Tage dauert, so nehmen sie im Bezirke viertausendfünfhundert Scheffel fort. So stellt die Aehrenleserei mehr als den Zehent dar. Was die widerrechtliche Weidenutzung anlangt, so wird durch sie etwa der sechste Teil von unserer Heuproduktion verzettelt. Was die Wälder betrifft, der Schaden läßt sich nicht schätzen; man ist so weit gegangen, sechsjährige Bäume abzuschneiden ... Die Schäden, die Sie erleiden, Herr Graf, belaufen sich auf zwanzig und einige tausend Franken im Jahr.«
    »Nun, Madame,« sagte der General zur Gräfin, »da hören Sie es!«
    »Ist das nicht übertrieben?« fragte Madame de Montcornet.
    »Nein, leider nicht, Madame,« entgegnete der Pfarrer. »Der arme Vater Niseron, der Alte mit dem schneeweißen Kopfe, der trotz seiner republikanischen Meinungen das Amt des Glöckners, des Küsters, Totengräbers, Sakristans und Kantors versieht, kurz, der Großvater der kleinen Geneviève, die Sie bei Madame Michaud untergebracht haben ...«
    »Die Péchina,« sagte, den Abbé unterbrechend, Sibilet.
    »Wie, die Péchina?« fragte die Gräfin. »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Als Sie, Frau Gräfin, Geneviève in einer so erbärmlichen Lage auf dem Wege angetroffen, haben Sie auf Italienisch ›Piccina‹ gerufen. Dies Wort, das ihr Spitzname geworden ist, hat man so korrumpiert, daß ihr Schützling heute in der ganzen Gemeinde die ›Pèchina‹ heißt, sagte der Pfarrer. »Das arme Kind ist das einzige, das mit Madame Michaud und Madame Sibilet in die Kirche kommt.«
    »Und das bekommt ihr nicht sehr gut,« sagte der Verwalter, »man mißhandelt sie und wirft ihr ihre Frömmigkeit vor.«
    »Und nun, dieser arme siebzigjährige Greis, sammelt – übrigens in anständiger Weise – fast anderthalb Scheffel täglich,« fuhr der Pfarrer fort; »aber die Redlichkeit seiner Ansichten verbietet ihm, seine gestoppelten Aehren, wie es alle anderen tun, zu verkaufen, er hebt sie für seine Nahrung auf. Mir zuliebe mahlt Monsieur Langlumé, Ihr Beigeordneter, ihm sein Korn gratis und meine Magd bäckt ihm sein Brot mit meinem zusammen.«
    »Ich hatte meinen kleinen Schützling ganz vergessen,« sagte die Gräfin, die Sibilets Wort erschreckt hatte.
    »Ihre Ankunft

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