Tabu: Thriller
du fragst mich, ob alles in Ordnung ist? »Ja doch…«, rief sie matt.
»Können wir uns das Fußballspiel ansehen?«
Guckt euch doch an, was ihr wollt. »Klar.«
Sie rappelte sich auf, trat ans Waschbecken und spülte sich den Mund aus. Das Wasser schmeckte bitter. Sie ließ es sich kalt über die Hände rinnen und wusch ihr Gesicht. Dann blieb sie stehen und betrachtete sich selbst. Das Spiegelbild war fremd, unwirklich. Wie in dem alten Spiegel oben in Bø.
Sie dachte: Ich bin nicht alt. Noch nicht. Aber auch keine Jugendliche mehr. Das erkenne ich selbst. Nicht einmal mehr eine junge Frau. Ich bin erwachsen.
Sie starrte tief in den Spiegel hinein.
Reif, dachte sie.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis aus den ersten feinen Linien Fältchen und dann Falten wurden und ihre Haare graue Strähnen bekamen.
Falls er sie nicht vorher zu sich holte.
Ihr Atem hatte ihr Spiegelbild undeutlich werden lassen. Und wenn schon.
Wie lange würde dieser Albtraum andauern? Wochen? Monate? Jahre? Was, wenn es ihnen nie gelang, diesen Kerl zu schnappen? Sollte sie den Rest ihres Lebens unter Polizeischutz verbringen? Dann konnte sie ja gleich Ådne heiraten. Oder auch alle vier, egal. Nur dass sie Ådne am sympathischsten fand.
Sie war sich so sicher gewesen, dass die Polizei ihn kriegen würde. Schließlich machten mehr als hundert der besten Ermittlungsbeamten des Landes Jagd auf Aquarius. Aber was würde geschehen, wenn sie ihn nicht kriegten? Wenn er mit dem Morden aufhörte und einfach verschwand? Dann würde sie nie wieder zur Ruhe kommen. Würde bei jedem unerwarteten Geräusch zusammenzucken. Jeder Augenblick draußen auf der Straße würde sie daran erinnern, wie verletzbar sie war.
Sie putzte sich die Zähne, nahm viel zu viel Zahncreme, um den Geschmack des Erbrochenen wegzuschrubben.
In der Wohnung über ihr drehte jemand die Dusche auf.
Sie schloss die Tür auf, machte das Licht im Badezimmer aus und ging ins Wohnzimmer. Gustav und Ådne nickten ihr kurz zu und konzentrierten sich dann wieder auf die Fußballübertragung. Sie hatte keine Ahnung, wer spielte. Und es war ihr auch egal. Mit verschränkten Armen trat sie ans Fenster und blickte nach draußen in den Park. Es waren viele Leute unterwegs. War er einer von ihnen? Vielleicht der Mann, der den fetten Cockerspaniel ausführte? Oder der mit der Plastiktüte?
Ein Jet hatte einen weißen Kondensstreifen über den Himmel gezogen. Der Abend war voller Ruhe, aber die Idylle provozierte sie. Sie bekam Lust, das Fenster aufzureißen und den Menschen dort unten zuzuschreien, wer in den Schatten lauerte.
»Entschuldigung, aber ich glaube, es ist nicht sehr klug, so lange am Fenster zu stehen«, sagte Ådne.
Bevor sie zu Bett ging, nahm sie eine lange Dusche. Dieses Mal drehte sie das warme Wasser ganz auf, denn seit sie am Morgen das Video gesehen hatte, war ihr kalt gewesen.
Als sie den Kopf durch den Türspalt steckte und den Polizisten Gute Nacht sagte, waren diese in die Fernsehanalyse des Spiels vertieft. Fünf ach so kluge Experten erklärten, warum das Spiel ausgegangen war, wie es ausgegangen war. Sie wollte fragen, wer gewonnen hatte, wusste aber nicht einmal, ob es sich um ein Länderspiel oder bloß um eine normale Ligabegegnung handelte. Muss man über so etwas wirklich im Fernsehen debattieren?, fragte sie sich. Jeder Idiot weiß doch, dass die eine Mannschaft verloren hat, weil die andere mehr Tore geschossen hat. Weil sie schneller gelaufen ist, geschickter gedribbelt und besser getroffen hat.
Im Schlafzimmer ließ sie die Jalousie herunter.
Sie zog das Laken über sich und starrte an die Decke. Sie war erschöpft, fühlte sich aber nicht müde.
Sie kniff die Augen zu.
Blasen, Blasen, Blasen…
Wo ist er jetzt?, dachte sie. Was macht er jetzt? Jetzt in diesem Augenblick?
Sie ist sehr fotogen. Filmt er sie durch den Spiegel, zoomt er immer ihr mädchenhaftes Gesicht heran. Wenn er das Licht in ihrem Zimmer dimmt, sieht sie aus wie Ingrid Bergman in Casablanca . Ihre großen Augen funkeln im Halbdunkel. Als er sie in ihrem Zimmer filmen wollte, hat sie sich hässlich gemacht und unablässig Grimassen geschnitten und die Aufnahmen gestört, auch nachdem er sie, wenn auch nicht hart, mit der flachen Hand geschlagen hat. Sie liegt an die Wand gekettet da, so gesehen hätte er alles mit ihr tun können.
Alles.
Aber er geht nur dann zu ihr hinein, wenn es wirklich nötig ist. Das Video wird nicht gut werden. Es ist unmöglich, eine
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