Tanz der Hexen
sagte er, und dann spulte er die ganze Reihe der Mayfair-Hexen wie eine Melodie herunter: Suzanne, Deborah, Charlotte, Jeanne Louise, Angelique, Marie Claudette, Marguerite, Katherine, Julien, Mary Beth, Stella, Antha, Deirdre, Rowan!
Er begleitete sie in die Filiale der Schweizer Bank, und sie sorgte für weiteres Kapital und richtete die Überweisungswege so ein, daß das Geld über Rom und in einem Fall sogar über Brasilien geleitet wurde, ehe es sie erreichte. Die Mitarbeiter der Bank waren äußerst hilfsbereit. In einer Anwaltskanzlei schaute und hörte er geduldig zu, während sie ihre Anweisungen niederschrieb und Michael berechtigte, das Haus in der First Street zu bewohnen, solange er lebte, und von ihrem Vermögen zu zehren, soviel er wollte.
»Aber wir werden dorthin zurückkehren, oder nicht?« rief er aus. »Wir werden eines Tages dort wohnen, du und ich. In diesem Haus! Er bekommt es nicht für immer!«
»Das können wir jetzt nicht mehr.«
Oh, diese Dummheit.
Ehrfurcht senkte sich über die Anwälte der Kanzlei, als sie ihre Computer anwarfen und die Informationen in die Leitung hi n ausjagten, und kurz darauf bestätigten sie ihr, jawohl, Michael Curry in New Orleans, Louisiana, lag krank auf der Intensivstation des Mercy Hospital, aber er war ohne Zweifel am Leben!
Er sah, wie sie den Kopf hängen ließ und anfing zu weinen. Eine Stunde, nachdem sie die Anwaltskanzlei verlassen hatten, befahl er ihr, auf einer Bank in den Tuilerien sitzen zu bleiben und ruhig zu sein; er werde stets in Sichtweite bleiben.
Als er zurückkam, hatte er zwei neue Pässe. Jetzt konnten sie das Hotel wechseln und sich in zwei andere Menschen ve r wandeln. Sie war wie betäubt und von Schmerz erfüllt. Als sie im neuen Hotel ankamen, im prächtigen George V. kippte sie auf die Couch ihrer Suite und schlief mehrere Stunden lang.
Wie sollte sie ihn studieren? Um Geld ging es dabei nicht; sie brauchte Apparate, die sie selbst nicht bedienen konnte. Sie brauchte medizinisches Personal, Computerprogramme, Hir n tomographen, alles mögliche.
Er ging mit ihr Notizbücher kaufen. Er veränderte sich vor i h ren Augen, aber es ging kaum merklich vonstatten. Ein paar Falten waren an seinen Fingerknöcheln entstanden, und seine Fingernägel sahen jetzt kräftiger aus, obgleich sie immer noch fleischfarben waren. Seine Augenlider hatten die erste zarte Falte, was sein Gesicht eigentlich nur ein bißchen reifer e r scheinen ließ. Bartwuchs stellte sich ein, und er ließ die Sto p peln wachsen, obwohl es kratzte.
Sie schrieb in ihre Notizbücher, bis sie so müde war, daß sie nicht mehr sehen konnte, und hüllte alle ihre Beobachtungen in eine undurchdringliche wissenschaftliche Ausdrucksweise. Sie schrieb von seinem Bedürfnis nach Luft, und daß er übe r all, wo sie waren, die Fenster aufriß und manchmal nach Luft schnappte, daß er am Kopf schwitzte, wenn er schlief, und daß die weiche Stelle in der Schädeldecke nicht kleiner war als unmittelbar nach seiner Geburt, daß er unersättlich nach ihrer Milch gierte, und daß sie vor Erschöpfung ganz krank war.
Am vierten Tag in Paris bestand sie darauf, in ein großes Krankenhaus im Zentrum zu gehen. Er wollte nicht. Sie mußte ihn mehr oder weniger dazu verleiten; sie schloß Wetten darüber mit ihm ab, wie dumm die Menschen wirklich seien, und sie schilderte ihm, wieviel Spaß es machen würde, sich dort einzuschleichen und so zu tun, als gehörten sie wirklich dorthin.
Das gefiel ihm. »Allmählich habe ich den Bogen raus!« rief er, als habe diese Redensart eine besondere Bedeutung für ihn. Er benutzte viele solcher Floskeln. »Ahoi, mein Schatz, die Luft ist rein! Ach, Rowan! Besen, Besen, seids gewesen!« Und manchmal sang er einfach Verse, die er einmal gehört hatte und die irgendwie lustig waren.
Mutter, darf ich schwimmen gehn?
Ja, geliebte Tochter mein,
Häng dein Kleid an den Ahorn schon,
Doch geh nicht ins Wasser hinein…
Bei solchen Sachen brach er in perlendes Gelächter aus. Mary Beth hatte diesen Vers aufgesagt, und Marguerite auch. Und Stella hatte gesagt: »Fischers Fritze fischt frische Fische.« Er sprach diesen Satz schneller und immer schneller aus, bis es nur noch ein pfeifendes Flüstern war.
Nach einer Weile versuchte sie, ihn zu erheitern, stellte ihn mit verschiedenen kleinen Sprachstückchen auf die Probe und dergleichen mehr. Wenn sie ihm mit bizarren Sprachbildern wie »Wirf der Mama eine Kußhand zu!« kam, wurde er fast
Weitere Kostenlose Bücher