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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ordentlich.
    Er lächelte sie grimmig an. »Du liebst mich in Wirklichkeit gar nicht«, sagte er kalt.
    »Doch, natürlich.«
    »Kannst du die Wahrheit mehr lieben als das Geheimnis?«
    »Was ist Wahrheit?« Sie trat auf ihn zu, legte ihm ihre Hände ans Gesicht und schaute ihm in die Augen. »Was sind deine frühesten Erinnerungen, aus der Zeit des Anfangs, aus der Zeit, bevor die Menschen auf die Erde kamen? Erinnere dich. Ich weiß noch, daß du von solchen Dingen gesprochen hast, von der Welt der Geister, und wie die Geister von den Me n schen gelernt hätten. Du hast erzählt…«
    »Ich erinnere mich an nichts«, sagte er mit großen Augen.
    Er saß am Tisch und las, was er geschrieben hatte. Er strec k te die langen Beine von sich, legte die Knöchel übereinander, verschränkte die Hände im Nacken über der Stuhllehne und hörte sich seine eigenen Tonbandaufnahmen an. Er stellte ihr Fragen, als wolle er sie prüfen. »Wer war Mary Beth? Wie hieß ihre Mutter?«
    Immer wieder erzählte sie ihre Familiengeschichte, wie sie sie kannte. Sie wiederholte die Geschichten aus den Talamasca-Akten. Sie beschrieb – auf seinen Wunsch – alle lebenden Mayfairs, die sie kannte. Er war still geworden, hörte ihr zu, zwang sie, stundenlang zu reden.
    Es war die Hölle.
    »Ich bin von Natur aus still«, sagte sie. »Ich kann nicht… ich kann nicht…«
    »Wer waren Juliens Brüder? Wie hießen sie, und wie hießen ihre Kinder?«
    Schließlich war sie so erschöpft, daß sie sich nicht mehr rühren konnte; und die Krämpfe setzten wieder ein, als sei sie erneut schwanger und habe abermals einen Abort. »Ich kann das nicht länger«, sagte sie.
    »Donnelaith«, sagte er. »Ich will nach Donnelaith.«
    Er stand am Fenster und weinte. »Du liebst mich doch, oder? Du hast doch keine Angst vor mir?«
    Sie dachte lange nach, ehe sie antwortete. »Ja, ich liebe dich. Du bist ganz allein… und ich liebe dich. Aber ich habe Angst. Dies ist Irrsinn. Es ist keine organisierte Arbeit. Es ist eine M a nie. Ich habe Angst… vor dir.«
    Als er sich über sie beugte, nahm sie seinen Kopf in beide Hände und führte ihn an ihre Brust, und dann kam die Trance, als er die Milch saugte. Würde er es nie satt haben? Würde er sich immer stillen lassen? Bei dem Gedanken mußte sie l a chen und lachen. Er würde immer ein Säugling sein – ein Säugling, der gehen und reden und mit ihr schlafen konnte.
    »Ja, und singen, vergiß das nicht!« fügte er hinzu, als sie es ihm erzählte.
    Schließlich fing er an, in langen und ununterbrochenen Sitzungen fernzusehen. Jetzt konnte sie ins Bad gehen, ohne daß er sich um sie herumtrieb. Sie konnte in Ruhe baden. Sie blutete nicht mehr. Oh, könnte ich das Keplinger Institute e r reichen, dachte sie. Wenn sie sich überlegte, was sie mit dem Mayfair-Geld anfangen konnte, wenn sie es nur wagte. B e stimmt suchten sie nach ihr, nach ihnen beiden.
    Sie hatte alles ganz falsch angefangen! Sie hätte ihn in New Orleans verstecken und so tun sollten, als wäre er nie dag e wesen! Sie hatte es verpatzt, war verrückt gewesen – aber sie hatte an diesem Tag nicht klar denken können, an diesem grauenvollen Weihnachtsmorgen! Gott, seitdem war eine Ewigkeit gekommen und gegangen!
    Er funkelte sie an. Böse sah er aus, und angstvoll.
    »Was ist los mit dir?« fragte er.
    »Sag mir ihre Namen«, sagte sie.
    »Nein, sag du sie mir…«
    Er nahm eines der Blätter, die er so sorgfältig mit schmaler, gedrängter Schrift beschrieben hatte, und legte es wieder hin. »Wie lange sind wir jetzt hier?«
    »Weißt du es nicht?«
    Er weinte eine Zeitlang. Sie schlief, und als sie aufwachte, war er gefaßt und angezogen. Ihre Koffer waren gepackt. Er sagte, sie würden jetzt nach England fliegen.
    Sie fuhren von London nordwärts nach Donnelaith. Die meiste Zeit saß sie am Steuer, aber dann hatte er es gelernt und kam auf einsamen Landstraßen ganz gut mit dem Wagen zurecht. Sie hatten ihre ganze Habe im Kofferraum. Hier fühlte sie sich sicherer als in Paris.
    Donnelaith.
    Es war keine Stadt. Es war nicht mehr als das Gasthaus und das nahegelegene Hauptquartier des archäologischen Pr o jekts, wo eine kleine Gruppe von Archäologiestudenten schlief und aß. Es gab Führungen durch die Burgruine über dem See und die verfallene Stadt mit der Kathedrale unten im Glen – das man vom Gasthaus aus nicht sehen konnte – sowie weiter hinaus zu dem urzeitlichen Steinkreis, was ein ziemlicher Fußmarsch war, aber die Mühe

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