Tanz unter Sternen
Welt einließ, wagte auch er sich in ihre. Sie stellte ihn ihren Freundinnen vor, brachte ihm bei, wie er in gehobenen Kreisen am Tisch zu sitzen hatte, wann man aufstand und wie man sich begrüßte.
Schließlich hatten sie geheiratet. Cäcilie hatte Samuel zur Welt gebracht. Sie hatten zu dritt weitere wundervolle Jahre verlebt. Aber seit einigen Monaten war Cäcilie immer mürrischer und unzufriedener geworden. Es schnürte ihm das Herz ein.
Jetzt stand sie auf, ging in die Küche und fing an, das Abendbrot vorzubereiten, er konnte die Teller klappern hören, als sie den Tisch deckte, alltägliche Geräusche. Heute klangen sie hohl und bedrückend.
Er ging ins Bad. Der Badeofen war nicht angeheizt, ihm blieb nichts anderes übrig, als kaltes Wasser in die Wanne einzulassen. Er zerrte sich das Hemd über den Kopf, zog die Hose, die Unterhose und die Strümpfe aus.
Er biss die Zähne zusammen und stieg in die Wanne. Die Kälte zwickte ihn in die Waden, sie schloss sich wie ein Ring aus Eis um die Unterschenkel. Eine Weile stand er so, dann setzte er sich hin. Er griff nach dem Waschpulver, es war eigentlich nur für Kleider gedacht, aber er musste den Schmutz herunterwaschen, wie sollte denn Cäcilie mit ihm zufrieden sein, sicher hatte er Achselgeruch und seine Füße stanken! Er schüttete das Pulver ins Badewasser, stellte die Schachtel fort und rührte das Wasser um, bis es schäumte. Mit dem Schwamm und der braunen Kernseife – SUNLICHT war in großen Buchstaben in das Seifenstück geprägt – schrubbte er sich, bis die Haut von Kopf bis Fuß rot war, rot und rein.
Es half nichts. Zwischen ihm und Cäcilie blieb ein Schweigen, auch wenn sie Alltagsworte sprachen, es blieb, während sie die Sachen in die Koffer packten, es blieb auf der langen Zugreise nach Cherbourg im Nordwesten Frankreichs, als sie sich im Speisewagen gegenübersaßen. Erst im Hafen schien es ihm, als löste sich Cäcilies Anspannung.
II VERFÜHRUNG
II
Verführung
9
Der Abend dunkelte bereits, da fuhr mit zwei Stunden Verspätung die Titanic in den Hafen von Cherbourg ein. Alle Kajüten waren hell erleuchtet, ihre Lichter spiegelten sich im Meer.
Die Schaulustigen im Hafen wurden still. Sie kletterten an den Laternenmasten hoch, stiegen auf Kisten, spähten von Mauern aus, um einen guten Blick auf den modernsten Dampfer der Welt zu bekommen. Kofferträger, Chauffeure, Familien vom Kleinkind bis zum Großvater schwiegen vor Ehrfurcht. Die Titanic war eine Schönheit. Sie fuhr mit der Würde in das Hafenbecken, die nur Riesen besitzen, und obwohl sie noch mindestens tausend Meter entfernt war, sah jeder, dass sie sämtliche Gebäude der Stadt und selbst die Hafenkräne weit überragte. Ihre Schornsteine neigten sich nach hinten, als wäre das Schiff zum Fliegen gebaut.
Die Passagiere warteten seit dem Nachmittag in zwei Zubringerdampfern; man hatte es für unhöflich gehalten, sie im Freien warten zu lassen. Samuel drückte seine Nase an der Fensterscheibe des Tenders platt. »Ist die Titanic das größte Schiff auf der Welt?«
»Das ist sie«, sagte Matheus. Er schob die Koffer dichter zusammen. Erwachsene und Kinder drängten an die Fenster. Jemand rempelte ihn an, und Matheus fasste rasch nach seiner Brieftasche.
»Warum baut keiner eines, das noch größer ist?«
»Sie werden’s sicherlich versuchen, irgendwann. Aber es ist sehr teuer, und man muss extra eine Werft dafür bauen.«
Obwohl auch die Nomadic kein kleiner Dampfer war, schaukelte der Tender unter den Schritten der vielen Fahrgäste. Dampfkessel zischten, dann setzte das Stampfen von Kolben ein. Die Nomadic stieß einen hellen Pfiff aus. Sie steuerte auf die Titanic zu. Neben ihr machte sich die Traffic auf den Weg. Aus ihrem Schornstein quoll schwarzer Rauch. In die Nomadic hatten nur Gäste der ersten und zweiten Klasse einsteigen dürfen, die Traffic brachte die Postsäcke und die Passagiere der dritten Klasse zum Ozeanriesen.
Samuel drehte sich um. »Warum kommt die Titanic nicht ans Ufer, warum müssen wir zu ihr hinfahren?«
»Sie ist zu groß für diesen Hafen«, sagte er.
Cäcilie ergriff Matheus’ Arm. »Schau mal«, raunte sie, »da ist John Jacob Astor!« Sie zeigte auf einen Mann mit weißem Hut und Spazierstock, der hinter den Holzbänken der Nomadic stand und die Menge der Gaffenden belustigt beobachtete.
»Und wer ist das?«
»Astor ist einer der reichsten Männer der Welt. Er betreibt das Astoria-Hotel in New York, und das ist nur eine
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