Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Feuchtigkeit: Anhydrobiose: latentes Leben ohne Wasser.
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2.2.4 Sauerstoff
Der Sauerstoffgehalt gehört wohl zu den Umweltbedingungen auf der Erde, die sich während der Evolution des Lebens am eindrucksvollsten verändert haben. Als die ersten organischen Moleküle und die ersten Lebewesen auf der Erde entstanden, war die Atmosphäre noch sauerstofffrei. Erst die photoautotrophen Cyanobacteria reicherten die Luft allmählich auf 21 Vol% Sauerstoff an, denn der bei der Photosynthese gebildete Sauerstoff wird nicht vollständig durch Atmung und Verbrennung verbraucht. Das Ergebnis ist eine 20–50 km dicke Luftschicht mit einem Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch, in deren obersten Bereichen (etwa ab 20 km) Sauerstoff durch die Einwirkung ultravioletter Strahlen als Ozon ( O 3 ) vorliegt. Für Landlebewesen steht normalerweise ausreichend Sauerstoff zur Verfügung. Im Wasser kann dagegen Sauerstoff zum Mangelfaktor werden. Dies gilt besonders in warmen, tropischen Sumpfgewässern, am Boden zugefrorener oder überdüngter Binnengewässer sowie einige Zentimeter unter dem Meeresboden. Auch Endoparasiten des Darmes leben in einer anaeroben Umwelt.
Biologische Bedeutung des Sauerstoffs
Das Grundgerüst des Stoffwechsels ist nach wie vor strikt anaerob. Reaktionen, die Sauerstoff benötigen, sind erst später im Laufe der Evolution entstanden. Die Atmung erwies sich als ein besonders erfolgreicher Stoffwechselweg, denn bei aerobem Stoffwechsel lässt sich eine im Vergleich zur Anaerobiose höhere Energieausbeute erreichen. Außerdem sind die aeroben Stoffwechselendprodukte CO 2 und Wasser nicht toxisch im Vergleich zu den anaeroben Endprodukten Lactat, Propionat oder Succinat (Abb. 2. 19 ; Mikrobiologie ).
Abb. 2. 19 Aerobiose und Anaerobiose. Aerobe Umweltbedingungen ermöglichen einen Stoffwechsel mit höherer Energieausbeute als anaerobe Umweltbedingungen: Ist Sauerstoff vorhanden, können über die Atmungskette pro Molekül Glucose 30–32 Moleküle ATP bereitgestellt werden, Gärungen haben dagegen eine Energieausbeute von nur 2 ATP pro Glucose. Das Pyruvat ist die Verzweigungsstelle zwischen aeroben und anaeroben Stoffwechselwegen.
Für landlebende Organismen ist Sauerstoff in der Regel kein limitierender Faktor. Durch den hohen Gehalt an Sauerstoff in der Atmosphäre ist dieser ubiquitär und in ausreichender Menge vorhanden. Sauerstoffverbrauch durch Atmung beeinflusst den Gehalt in der Umgebungsluft nur marginal. Die Löslichkeit von Sauerstoff in Wasser ist dagegen beschränkt, weshalb in aquatischen Lebensräumen und in feuchten Böden Sauerstoff als Mangelfaktor große Bedeutung hat. Hierbei können sehr steile Gradienten zwischen Bereichen mit Sauerstoff (oxische Zone) und ohne Sauerstoff (anoxische Zone) auftreten. Der Übergang zwischen diesen beiden Bereichen ist in Böden und Sedimenten durch das Auftreten von oxidierten bzw. reduzierten Verbindungen leicht optisch zu erkennen, sauerstofffreie Bereiche sind auch durch das Auftreten reduzierter Schwefelverbindungen geruchlich auffallend (Abb. 2. 20 ).
Abb. 2. 20 Schlickkrebs im Wattenmeer. Oxidierte obere Sedimentschicht (braun) mit darunterliegendem anoxischem Sediment (schwarz). Der Schlickkrebs ( Corophium volutator ) dringt in einer Röhre mit sauerstoffreichem Frischwasser in den anoxischen Horizont vor. (Foto von Stefan Scheu, Göttingen.)
Oxy-Anpassungstypen
Organismen, die nicht ohne Sauerstoff leben können, bezeichnet man als obligate Aerobier , für sie ist Sauerstoff der notwendige Elektronenakzeptor. Bei Oxykonformern sinkt der Stoffwechsel bei verringerter Sauerstoffkonzentration der Umwelt, Oxyregulierer können ihren Stoffwechsel über einen weiten Bereich relativ konstant halten, indem sie z. B. bei äußerem Sauerstoffmangel stärker ventilieren, sodass weiterhin ausreichend Sauerstoff in die Zellen gelangt (Abb. 2. 21 ; Mikrobiologie,Zoologie ).
Abb. 2. 21 Oxykonformer und Oxyregulierer. Die Sauerstoffsättigung der Umwelt beeinflusst den Stoffwechsel von Wassertieren. Man unterscheidet zwischen Oxykonformern (blaue Kurve) und Oxyregulierern (rote Kurven): Bei sinkender Sauerstoffkonzentration sinkt die Atmungsrate der Oxykonformer (Wasserfloh Simocephalus vetulus ), Oxyregulierer (Flussmützenschnecke, Ancylus fluviatilis ) ventilieren stärker und halten so die Atmungsrate in einem bestimmten Wertebereich (hier etwa 30–50% O 2 ) relativ konstant. Zwischen diesen Typen gibt es Übergänge, z. B. den Wasserfloh Daphnia magna .
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