Teufelsmond
aufzuspielen.»
«Das hat die Dörfler sicher geärgert.»
Else nickte. «Sie waren empört. Die Burschen sind zu ihr gegangen, haben um einen Tanz gebeten, aber die Sofie hat sie alle ausgelacht. «Soll ich mit Euch stampfen, wenn ich allein fliegen kann?», hat sie gefragt und alle weggeschickt. Nach einer Weile standen alle Burschen wie Tölpel da. Nur der schwarze Jo lehnte noch an der Lügenlinde und sah seiner Schwester mit einem Lächeln zu.»
«Hat er nicht getanzt, der schwarze Jo?», wollte Karla wissen.
«Zunächst nicht. Er stand einfach nur da und glotzte. Da bin ich zu ihm hin, habe ihn beim Arm gepackt und unter den Maibaum gezogen.» Else schluchzte auf.
«Und dann?»
«Er hat mich bei den Hüften gepackt und mich ein paarmal herumgeschwenkt.» Elses Blick zeigte wieder einen so jämmerlichen, hündischen Ausdruck, dass Karla ihr den Becher zum fünften Male aufgoss. Else trank, dann fuhr sie leise und mit gesenktem Blick fort: «Seinen Blick dabei, den werde ich nie vergessen», flüsterte sie, und Karla sah, dass ihre Schultern wieder zu beben anfingen, während sie die Finger in den Stoff ihres Kleides krallte. «Er hat ausgesehen, als hätte er in einen Topf voller Unrat gegriffen. Als wären meine Hüften kein Gottesgeschenk, sondern eklig. Er hat mir beim Tanz kein einziges Mal in die Augen gesehen, sein Blick war immer nur auf Sofie gerichtet, so als dürfe er keinen Augenblick versäumen. So, als müsste er sie schützen vor den Männern.»
Else sah auf. «Ich habe mir Mühe gegeben, weiß Gott!», sprach sie leise weiter. «Ich habe gelacht und gegurrt, habe ihn mit meinem Atem am Hals gekitzelt, doch er hat mich nicht ein einziges Mal angesehen. Dann ließ er mich los, dankte flüchtig und ging zurück zur Lügenlinde. Ich stand allein da, sah die grinsenden Gesichter der anderen. Und die dürre Bernadette sagte zu mir: ‹Mach dir nichts draus. Wer ist denn schon der Michelsmüller?›
Da wusste ich, dass alle aus dem Dorf gesehen hatten, wie er mich behandelt hat. Ich wusste, dass niemand mehr mit mir tanzen würde. Ich wusste, dass sie alle hinter meinem Rücken über mich sprechen würden. ‹Was hat die Else an sich, dass es den Michelsmüller geekelt hat?› und ‹Wenn nicht einmal der schwarze Jo, der Habenichts, mit ihr tanzen mag, dann wird sie wohl keiner anpacken wollen.›
Eine einzige Nacht, und ich war abgestempelt als die, die übrig ist.»
Else goss sich selbst Branntwein nach und trank. «Ein Dorf ist klein. Jeder kennt jeden. Schande klebt bis zum letzten Erdentag an dir. Hier wäscht die Zeit nichts ab, hier heilt die Zeit auch keine Wunden.» Wieder sah sie kläglich auf. Karla nickte. «Ich weiß», sagte sie. «Schnell hängen einem die Leute einen Makel an. Dabei ist es ganz gleich, ob er wirklich besteht. Und ganz gleich ist es auch, wie man wirklich ist. Die Leute im Dorf sehen das, was sie sehen wollen.»
Else nickte, aber Karla sprach schon weiter: «Es geht nicht darum, wer du wirklich bist, denn für die anderen bist du die, die sie in dir sehen.»
«Eine war übrig. Das war schon lange klar.»
«Übrig?» Karla verstand nicht.
«Ja, übrig. Es gab damals sechs Frauen im Dorf. Und fünf Burschen im Heiratsalter. Eine musste übrig bleiben. Und dann heirateten sie auf einmal alle. Der Wegener führte sein Weib nach Hause, der Dorfschulze das seine, der Beckmann bekam die Lissi, der Glenbauer das zweitreichste Mädchen, und sogar die dürre Bernadette trug stolz den Jungfernkranz durchs Dorf bis zum Altar.»
Else seufzte. «Ich war es, die übrig blieb. Und das alles nur, weil ich den Michelsmüller um einen Tanz gebeten habe.» Ihre Augen funkelten. Sie hob die Hand, zeigte damit anklagend in Richtung Mühle. «Er hat mein Leben zerstört. Er! Niemand sonst. Wäre er nicht gewesen, so säße die Bernadette an meiner Stelle hier. Er hat mich um Mann und Kinder gebracht. Niemals werde ich ihm das verzeihen.»
«Augenblick, sechs Frauen, sagst du, und fünf Männer. Was ist mit Sofie und dem schwarzen Jo? Spielten die nicht mit im Hochzeitsreigen?»
Else verzog abschätzig den Mund. «Sie wollten nicht. Als es so weit kam, da ist jeder nach drüben gegangen und hat um die Sofie gefreit. Den Hettrich hat sie ausgelacht, den Glenbauern mit dem Besen vom Hof gejagt. Der war stinkwütend, nachdem ihn schon die Lissi abgewiesen hatte. Dem Wegener hat sie wenigstens noch einen Becher Wein angeboten, ehe sie ihn zurückgeschickt hat. Und den Dorfschulzen
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