Teufelsmond
man sich nicht sicher fühlen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie erschrak darüber so sehr, dass ihr Körper zuckte. Vielleicht, überlegte sie, fühle ich so, weil ich selbst böse bin. So, wie die Leute in meinem Weiler von mir dachten.
«Meinst du», fragte sie den schwarzen Jo, «dass die Menschen, die von einem Dämon besessen sind, das wissen? Können wir sicher sein, dass kein böser Geist ins uns wohnt, uns schlechte Gedanken und Taten eingibt?»
«Ich weiß nicht», erwiderte Jo.
«Wir haben eure Toten ausgegraben, und es sah aus, als wären sie gar nicht tot. Sie lagen still und stumm im Sarg, kein Herzschlag war zu spüren, kein Atem. Aber sie waren auch nicht mehr die, als die ihr sie begraben habt. Dick waren sie, Blut in ihrem Mund, die Fingernägel lang, die Haare ebenso. Als wären sie im Grab gewachsen, als wäre nicht alles an ihnen tot. Ich habe mich gefragt, ob so der Teufel wirkt. Ob es das, was wir für den Teufel halten, wirklich gibt. Oder ob der Teufel am Ende gar noch etwas Schlimmeres ist. Etwas, das wir uns gar nicht vorstellen können.»
«Ich weiß es nicht. Was gäbe ich um eine Antwort! Nur eins weiß ich mit sicherem Herzen: Dir könnte ich niemals ein Leid zufügen.»
«Was sehen Menschen in ihrem Gegenüber?», fragte Karla. «Was sehen sie in dir? Oder in Sofie, die unsere Else mehr fürchtet als den Teufel. Ihre Angst vor euch ist so groß, dass sie sterben würde, ließe man sie allein bei der Michelsmühle zurück.»
Der schwarze Jo lachte leise auf. «Ja, das kann ich mir vorstellen. Die Else. Ihre Angst, weißt du, kann man riechen. Sauer riecht ihre Angst. Ich habe sie einmal gerochen, als ich mit ihr getanzt habe. Und meine Hände, die auf ihren Hüften lagen, wurden plötzlich ganz heiß. Es war, als hätte ihr Fleisch mich versengt.»
Karla richtete sich ein wenig auf und sah dem schwarzen Jo ins Gesicht. «Es ist die Angst. Die Angst macht, dass die Menschen Teufel sehen, wo keine sind.» Sie riss die Augen auf und holte tief Luft, ehe sie sagte: «Ob es wohl so ist, dass die Angst der größte Teufel ist? Fürchten sich die Dörfler nicht vor den Michelsmüllern, sondern vor sich selbst? Haben sie Angst, du könntest ihnen auf die Schulter tippen und ihnen ihre eigene Bosheit offenbaren? Ist es so, dass sie denken, dass auch sie das Böse sind, wenn sie mit dir reden, wenn sie sich dir gleichstellen? Jetzt haben sie das Böse von sich geschoben, haben es über die Handelsstraße ins Michelsbachtal geschickt. Sie haben damit nichts mehr zu tun. Aber wenn du kommst, wenn Sofie kommt, dann sehen sie wie in einen Spiegel. Sie haben Angst vor dem Bösen in sich. Ist es so, Jo?»
Der junge Michelsmüller seufzte. «Ich habe keine Ahnung, ich weiß nicht, was die Dörfler denken.»
Er hielt inne, strich Karla über das Haar. Leise, unhörbar fast, fuhr er fort: «Sofie weiß es. Aber sie spricht nicht darüber.»
«Was weiß sie? Worüber spricht sie nicht?»
Der schwarze Jo seufzte. «Eines Tages wollte sie ins Dorf gehen. Sie wollte ein paar Eier kaufen, eine Kanne Bier aus der Schenke holen. Ich wollte sie nicht allein gehen lassen, aber es war so viel zu tun in der Mühle. Also steckte sie sich das Geld in ihr Brusttuch und machte sich allein auf den Weg. Es war früher Nachmittag. Ich habe Korn gemahlen, der Vater hat mir geholfen. Auch Jost war dabei, hat immer wieder die Mühlschaufeln von Schnee und Eis befreit, damit sie sich weiter drehen konnten. Die Mutter und die Tanten haben gebacken, die Knechte das Korn nach oben gebracht und das fertige Mehl in Säcke gefüllt. Niemand merkte, dass Sofie nicht nach Hause kam. Sie hätte lange schon zurück sein müssen; die Dämmerung sank bereits ins Tal. Aber sie kam nicht. Erst beim Abendessen fiel es auf. Ich machte mich mit einer Öllampe auf den Weg. Die Knechte suchten im nahen Wald, Jost stöberte in der Scheune und in den Ställen.
Am Anfang des Mühlepfades fand ich sie. Sie saß unter einem Baum und weinte. Ihr Kleid war zerrissen, Blut lief an ihren Beinen herab, ihre Brust war zerkratzt, die Fingernägel blutig, das Haar an einigen Stellen ausgerissen. Ich wollte sofort ins Dorf, aber Sofie hielt mich zurück. «Du darfst mit niemandem darüber sprechen», sagte sie. Ihre Stimme war so flehentlich, dass ich einwilligte. Ich fragte nach, doch Sofie schwieg eisern. Nur manchmal fand ich sie am Waldrand, wie sie aus Holzstücken Gesichter schnitzte. Aber nie erklärte sie ihr Tun. Neun Monate danach, im
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