Texas
der Straße. Dieses Bild sollte Otto sein Leben lang begleiten: eine Hütte in der Wildnis, ein Licht, das aus einem Fenster fiel, eine für ihn unerreichbare Zuflucht vor der einsamen, nur von Schatten bevölkerten Straße.
Vierzig Kilometer westlich von Hagerstown mußte Finlay Macnab sich entscheiden: Hier zweigte ein Weg nach Norden ab; er führte über die Berge nach Pittsburgh, einem verlockenden Ziel.
»Ist das wahr?« fragte Finlay einen Reisenden, den er an der Wegkreuzung getroffen hatte, »gibt es Dampfschiffe, die die ganze Strecke von Pittsburgh nach New Orleans zurücklegen?«
»Das ist richtig«, versicherte ihm der Fremde. »Aber an Ihrer Stelle würde ich auf diese Art von Beförderung verzichten.«
»Wieso?«
»Dafür gibt es drei gute Gründe. Erstens ist die Fahrt mit diesen Schiffen sehr teuer und würde Sie Ihre ganzen Ersparnisse kosten. Zweitens sind sie gefährlich, denn sie explodieren ständig. Und außerdem werden Ihnen während der Fahrt geschickte Diebe alles Geld stehlen, das Ihnen noch geblieben ist, werden Ihnen die Kehle durchschneiden und Sie über Bord werfen. Wenn Sie nach Pittsburgh kommen, machen Sie lieber einen Bogen um die Schiffe!«
Finlay befolgte diesen Rat und setzte mit Otto den Weg nach Morgantown und Parkersburg fort, immer in Richtung auf den Ohio River, an dessen grasbewachsenem Ufer entlang sie die letzten fünfhundert Kilometer nach Cincinnati zurücklegen mußten.
Otto war ein hagerer, drahtiger Junge, aber er zeigte schon jetzt oft große Tüchtigkeit und Entschlossenheit. Eines Tages, das wußte er, würde er den Fluß auf einem Dampfer hinunterfahren, und während er dahinschritt, war ihm ständig bewußt, daß irgendwo zu seiner Rechten der große Strom lag, den zu sehen er gar nicht erwarten konnte.
In solche Träumereien war er eines Morgens wieder versunken, als er plötzlich einen Schrei der Begeisterung ausstieß: »Oh, Poppa!«
Vor ihm wälzte sich in seiner ganzen Majestät der Ohio River dahin, viel größer, als er ihn sich vorgestellt hatte, und bedrohlich dunkel.
»Schau mal, Poppa!«
Vom gegenüberliegenden Ufer aus hatte sich ein Boot in Bewegung gesetzt, das offensichtlich den Fluß zu der Stelle überqueren wollte, wo die Macnabs warteten. »Das ist eine Fähre«, erklärte Finlay seinem Sohn. »Sie kommt hierher, um uns zu holen.«
»Wir werden damit fahren?« Der Junge war entzückt. Während er mit seinem Vater auf die kleine Fähre wartete, bemerkte er, daß von rechts etwas Riesiggroßes herankam, und drehte gerade noch rechtzeitig den Kopf zur Seite, um das Herannahen eines großen Flußdampfers beobachten zu können. Die Schornsteine stießen Rauchwolken aus, die enormen Schaufelräder wühlten das Wasser schäumend auf, es war ein begeisternder Anblick.
Es war die Climax, Heimathafen Paducah, ein Schiff aus jener großartigen Hotte, mit der 1811 unter dem Kommando des phantasievollen Nicholas Roosevelt die Dampfschiffahrt auf den großen Strömen Amerikas begonnen hatte. »Oh, Poppa!« rief Otto, als das schöne Schiff vorbeifuhr. Er hatte seinen ersten Flußdampfer gesehen und war überwältigt.
Mit der Fähre gelangten sie nach Ohio und wanderten nun auf Landstraßen entlang des rechten Flußufers weiter. Der Ohio wälzte sich von Parkersburg durch die leere Wildnis des südlichen Ohio nach Portsmouth, wo sich der Scioto River mit ihm vereinte. Ständig veränderte sich die Landschaft; nachts glommen einsame Lichter am gegenüberliegenden Ufer und ließen erkennen, wo abenteuerlustige Seelen aus dem erschlossenen Virginia den Mut gefunden hatten, in die Wildnis Kentuckys einzudringen.
Sie folgten der guten Straße entlang des Ohio bis Cincinnati, eine aufblühenden Stadt, in der mehr als zwanzigtausend Menschen lebten und wo ein paar tatkräftige Deutsche sich mit ihren Unternehmen auf Bedarfsgüter für die Dampfschiffahrt spezialisiert hatten. Drei Fähren standen den Bürgern von Kentucky zur Verfügung. Nach einigen ersten aufregenden Tagen in der Stadt meinte Otto: »Hier gefällt es mir besser als in Baltimore!«
Es fiel Finlay nicht schwer, Arbeit bei einem deutschen Kaufmann zu finden, der Macnabs Sachkenntnis beim Erwerb von Rindern und Schweinen zu schätzen wußte.
Mit sieben Jahren fing Otto an, Botengänge für seinen Vater zu machen. Dabei lernte er die Namen aller Dampfschiffe und ihre Heimathäfen. Ein großer, bärtiger Bootsführer erzählte ihm einmal: »Weißt du was, Kleiner? Wenn du mal den
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