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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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Liupan-Gebirge, der sterbende Dschingis Khan und die marschierenden Kommunisten liegen hinter mir. Auf der Internetseite heißt es, internationale Umweltschutzorganisationen seien sehr froh, dass es in dem Naturreservat des Liupan-Gebirges mittlerweile wieder fast dreihundert Schneeleoparden und Wildkatzen gebe.
    Dreihundert.

ORDENTLICH GEBUMST?
    Ich bleibe einen Tag in Longde, dann laufe ich weiter. Auf einer Wiese flammen meine Allergien auf. Niesen, juckende Augen, ich habe nicht mehr daran gelitten, seit ich vor zwei Jahren nach China gekommen bin. Warum heute?
    Ein alter Bauer setzt sich neben mich, ich klage ihm mein Leid. Er raucht und blickt mich verständnislos an. Was soll das sein, eine Allergie? Nach einer Weile wird es ihm zu bunt, und er holt sein Handy aus der Tasche, um seinen Enkel anzurufen. Der Junge kommt von irgendwoher angelaufen, er weiß sofort, wovon ich rede.
    Eine Allergie, verkündet er, das ist, wenn man von Pflanzen krank wird! Das hat er im Fernsehen gesehen.
    Krank? Von ganz normalen Pflanzen? Der alte Mann blickt sich lachend um: Überall sind Pflanzen. Der Wind spielt mit ihren Blättern und Halmen, alles ist grün. Wie sollte man davon krank werden? Der Enkel sieht stolz aus, der Opa findet allesfurchtbar absurd, und ich hole ein schneeweißes Taschentuch hervor und putze mir die Nase. Dann stehe ich auf und flüchte vor diesem grünen Ort.
    Ich habe einen dicken Kopf und fühle mich kraftlos, als ich in dem Dorf Shatan ankomme. Ich miete mich in einem Hinterhofzimmer ein, das einen Kang , eine beheizbare gemauerte Schlafbank, hat. Das gefällt mir. Hunger. Ich betrete ein Restaurant und will mir etwas zu essen bestellen, als sich eine Tür öffnet und ein betrunkener Mann erscheint. Er krakeelt etwas Unverständliches und bugsiert mich in ein Hinterzimmer. Ich bin zu müde, um mich zu wehren.
    Zigarettenrauch umfängt mich. Fünf rote Gesichter sitzen über Nudeln und Schnaps, jemand grölt, dass ich ihr Gast sei für den Abend. Ich hasse es. Ich muss über Hitler reden und über Rassenunterschiede, es wird geprahlt und einander auf die Schulter geklopft, deutsche Panzer seien Kuhfotze. Irgendwann kommt die Sprache auf Beijing.
    Ach, von der Filmhochschule sei ich? Höhö. Dann hätte ich doch bestimmt auch die eine oder andere Schauspielstudentin flachgelegt, oder?
    Zehn glasige Augen blicken mich erwartungsvoll an. Die Männer sind um die fünfzig, sie gehören zu einer Generation, die es nicht leicht gehabt hat. Sie haben nicht die Sanftheit der alten Leute, aber ihnen fehlt auch das Selbstbewusstsein derjenigen, die nach 1980 geboren sind. Sie stehen irgendwo zwischen dem alten Meister Yan und meinem Snowboard fahrenden Freund Xiaohei, und oft sieht man ihnen an, dass sie sich nicht ganz wohl dabei fühlen. Vor allem dann nicht, wenn bedrohliche Dinge auftauchen. Ausländer zum Beispiel.
    Ob ich an der Filmhochschule ordentlich gebumst habe, fragen sie.
    Normalerweise würde ich jetzt vielleicht lächeln, doch ich habe diese Situation schon zu oft erlebt und weiß genau, dass es eine Falle ist.
    »So etwas tue ich nicht«, behaupte ich.
    Wie verärgert chinesische Männer sein können, wenn sie von Ausländern hören, die in ihr Land kommen und mit ihren Frauen schlafen, weiß ich von den Schmierereien im Flur meiner ehemaligen Beijinger Wohnung. Vielleicht erinnert es sie daran, dass China einmal arm war und ein ausländischer Mann für viele Chinesinnen die Möglichkeit zur Flucht bedeutete. Doch diese Zeiten sind heute längst vorbei. Die Luxuslimousinen vor den Clubs gehören heute Chinesen. Als ich Juli einmal fragte, ob sie vielleicht später die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde, lachte sie und sagte, das müsse sie sich schon sehr genau überlegen.
    Und trotzdem, es gibt sie noch: die prahlerischen, die verlorenen, die seelenlosen Männer aus dem Ausland, die in China leben und »die« sagen, wenn sie die Menschen um sich herum meinen, und deren einzige Verbindung mit diesem Land aus ihren Beziehungen mit einheimischen Frauen besteht.
    »Ich habe keine Zeit für so etwas«, erkläre ich, und die fünf betrunkenen Gesichter schaffen es, gleichzeitig enttäuscht und befriedigt auszusehen.
    Am nächsten Morgen wache ich mit einem Kopf auf, der nicht mehr einfach nur dick, sondern gigantisch ist. Ich habe falsch herum auf dem Kang geschlafen (mit dem Oberkörper auf der warmen Seite), und als Belohnung kann ich die Innenseite meiner Gehirnschale fühlen. Mühsam

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