The Walking Dead 2: Roman
Fingerkuppen zu kauen. »Nicht sicher, ob wir lange genug hier bleiben.«
»Das liegt natürlich an euch.« Martinez zuckt unverbindlich mit den Schultern und zieht sich dann fingerlose, lederne Handschuhe an. »Ihr dürft aber auch nicht die Vorteile für beide Seiten vergessen, von denen wir schon geredet haben.«
»Keine Angst, werde ich nicht.«
»Wir haben derzeit keine freien Wohnungen mehr, aber ihr werdet trotzdem irgendwo unterkommen.«
»Gut zu wissen.«
»Sobald wir die Mauer weiter ausgebaut haben, wird es Tausende von Wohnungen geben.«
Josh antwortet nicht.
Martinez hört plötzlich auf zu lächeln. In dem spärlichen grünen Licht macht er auf einmal den Eindruck, als ob er sich an bessere Zeiten erinnert, vielleicht an eine Familie, vielleicht an etwas Schmerzhaftes. »Ich rede über Wohnungen mit weichen Betten, Privatsphäre … Lattenzäune und Bäume und so.«
Eine lange Pause folgt.
»Ich will dich etwas fragen, Martinez.«
»Na dann schieß los.«
»Wie bist du hier gelandet?«
Martinez stößt einen Seufzer aus. »Um ganz ehrlich zu sein, ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern.«
»Wie soll das denn gehen?«
Er zuckt erneut mit den Schultern. »Ich war allein, Exfrau ist gebissen worden. Mein Kind hat sich auf und davon gemacht. Ich habe mich um gar nichts anderes mehr gekümmert, als Beißer ins Jenseits zu befördern. Hab einen ganzen Haufen dieser hässlichen Biester um die Ecke gebracht. Dann wurde ich von ein paar Typen in einem Graben gefunden, und die haben mich hierher geschleppt. Ich schwöre auf das Grab meiner Mutter – das ist alles, an das ich mich erinnern kann.« Er neigt den Kopf etwas zur Seite, als ob er noch einmal über das Geschehene nachdenkt. »Ich bin froh, dass sie es getan haben, insbesondere jetzt.«
»Was soll das denn heißen?«
Martinez wirft ihm einen Blick zu. »Das hier ist nicht gerade perfekt, aber zumindest befinden wir uns in Sicherheit – und es wird immer sicherer. All das verdanken wir großteils dem Typen, der hier das Sagen hat.«
Josh erwidert seinen Blick. »Ist das der Boss, den du gerade erwähnt hast?«
»Genau.«
»Und wann, hast du gesagt, sollen wir ihn treffen?«
Martinez hält eine behandschuhte Hand in die Höhe, was so viel bedeuten soll wie: Wartet es nur ab. Dann holt er ein Handfunksprechgerät aus der Brusttasche seines Flanellhemds, drückt auf einen Knopf und fängt zu reden an. »Haynes, wir fahren zum Gericht … Die warten bereits auf uns.«
Lilly und Josh tauschen erneut einen Blick aus, als der Truck vor ihnen von der Hauptstraße über den Marktplatz abbiegt, auf dem eine Statue von Robert E. Lee eine bewachsene Pagode bewacht. Sie fahren auf ein steinernes Regierungsgebäude am anderen Ende des Platzes zu, dessen Stufen in der schneebedeckten Dunkelheit geisterhaft schimmern.
Der Versammlungssaal befindet sich im hinteren Gebäudeteil am Ende eines langen, schmalen Korridors, von dem verglaste Türen an beiden Seiten den Blick auf das Innere von Büros freigeben.
Josh und seine Truppe finden sich in dem chaotischen Durcheinander des Hauptsaals wieder. Ihre nassen Stiefel verunreinigen den sowieso schon geschundenen, hölzernen Parkettboden. Sie sind erschöpft und nicht in der Laune, auf das Woodbury-Empfangskomitee zu warten, aber Martinez rät ihnen, sich zu gedulden.
Der wässrige Schnee klatscht an die hohen Fenster, und die Minuten verstreichen nur langsam. Der Saal wird von kleinen Heizöfen warm gehalten und von Kerosinlampen erhellt. Es sieht ganz so aus, als ob der Saal als Austragungsort mehrerer heftiger Scharmützel gedient hätte. Der herabfallende Putz weist Anzeichen von vergangenen Gewalttaten auf, der Boden ist mit umgestürzten Stühlen überhäuft, zwischen denen zerfledderte Akten herumflattern. Josh blickt sich um, sieht Blutspuren an der vorderen Wand neben einer ausgefransten Flagge des Staates Georgia. Generatoren brummen im Keller des Gebäudes vor sich hin, wodurch der Boden permanent bebt.
Sie warten etwas über fünf Minuten – Josh wandert auf und ab, Lilly und die anderen sitzen auf Stühlen –, ehe Geräusche schwerer Stiefel im Gang hallen. Dann ertönt ein Pfeifen. Es kommt immer näher.
»Willkommen, Leute! Willkommen in Woodbury.« Die nasale Stimme, die vom Türrahmen an ihre Ohren dringt, ist tief und voll geheuchelter Freundlichkeit.
Sie drehen sich um.
Sie sehen drei Männer, drei lächelnde Gesichter, die sich mit den eiskalten Augen, die sie
Weitere Kostenlose Bücher