Tintorettos Engel
schauen. Ich ließ diesen unvollkommenen Körper nicht schöner aussehen. Ich malte ihn, wie ich ihn sah - einen losen, widerwärtigen Fleischberg, eingehüllt in ein Gewand wie ein Stück Ochsenfleisch in einen Sack. Der Professor bemerkte meinen Widerwillen nicht. Mit seinen Schweinsäuglein und der fetten Hand auf der Armlehne hielt er seine Pose. Meine Hand aber zitterte.«Maestro», schloss er,«stellt Euch nicht zu viele Fragen. Meine beruflichen Erfahrungen haben mir gezeigt, dass die ehelichen Gemächer so viele Geheimnisse bergen, wie Sterne am Himmel hängen.»
Eines Morgens im April, als wir den scheußlichen Winter endlich hinter uns gelassen hatten, erschien ein Fischer mit einem Korb voller Tintenfische, Makrelen und Sardinen an der Tür. Während er ihn auslud, sagte er:«Maestro, den schickt Euch Eure Tochter.»
Ich verstand die Botschaft. Tintoretta kehrte zurück. Du weißt, Herr, dass ich nicht zimperlich mit mir umgehe. Ich lebe auf meine Art. Die Ehre, die ich mir erkämpft habe, kann allein ich verlieren. Es hat mich nie gestört, als extravagant und unangepasst zu gelten. Ich bin sogar für verrückt und unmoralisch gehalten worden. Was andere über mich denken, kümmert mich inzwischen nicht mehr im Geringsten - sollen sie doch sagen und herumerzählen, was sie wollen. Wenn ich eine achtenswerte Person gewesen bin, dann dank meiner Bilder und nicht aufgrund meiner Lebensweise - geschweige denn dank meiner Art zu beten, zu denken und an dich zu glauben. Zum Schutz meiner Familie hätte ich jedoch alles getan. Ich hätte nie zugelassen, dass Tintoretta unser Dasein zerstört. Damals wusste ich aber nicht, dass nicht dieses Mädchen mein Gegner war.
In jenen Tagen wartete der Herzog von Mantua auf seinen Gonzagazyklus . Die Gemälde sollten den Ruhm des Hauses Gonzaga verherrlichen und die Säle im Schloss schmücken. Sein Vermittler bedrängte mich seit Monaten, hing wie eine lästige Klette an mir. Mit dem Versprechen, mir eine kleine Rente auszusetzen, mit der ich mein Dasein im Alter aufbessern könnte, wollte er meinen Eifer anspornen. Über die Naivität gewisser Machthaber kann ich nur lachen: Wenn sie glauben, über meine Zeit verfügen zu können, nur weil sie mir in einem von tausend Sälen ihrer zahlreichen Paläste eine einzige Wand überlassen, gleichsam einen Krümel ihres gesamten Staatsvermögens, eine völlig bedeutungslose Aufgabe. Als mich der König von Frankreich zum Ritter schlagen wollte, erkundigte ich mich, was mit dem Titel verbunden sei. Als ich erfuhr, dass ich vor ihm auf die Knie gehen müsse, lehnte ich ab. Die Werke, die Europas Könige bei
mir in Auftrag gaben, beanspruchten mich nicht mehr als die der Bruderschaft der Fischverkäufer. Bisweilen sogar weniger - sodass ich sie von meinem Sohn oder selbst dem niedersten Gehilfen malen ließ. Es heißt, die Könige und Prinzen hätten es mir nie verziehen, mich mit dem gemeinen Volk teilen zu müssen. Hätten sie mir doch Hunderte Dukaten zahlen können, die anderen dagegen nur eine Handvoll Münzen. Aber was sind schon ein paar Metallstücke und auf Papier gedruckte Zahlen. Damit kann man sich weder Achtung noch die Wahrheit kaufen. Die Prinzen finanzierten zwar Mariettas und Dominicos Lehrzeit, das Kloster von Perina und Lucrezia, Zuanes Träume, das Spielzeug der jüngeren Töchter - aber auf die Knie bin ich dafür vor niemandem gegangen.
In zehn Tagen hatte ich zusammen mit meinem treuen Dominico die acht Bilder für den Herzog fertig. Zunächst tat ich so, als drückte ich mich davor, ihm die Bilder in Mantua aufzuhängen. Als mich der Vermittler drängte, endlich aufzubrechen, stellte ich mich krank und erklärte, dass ich das Gerüttel in der Kutsche nicht vertrage. Mir bangte davor, mich der für Prinzen typischen Schmach auszusetzen: erst große Worte machen und dann den Geldbeutel zuhalten. Da ich ihm ausrichten ließ, nicht in der Kutsche reisen zu wollen, bot mir der Herzog an, mich mit einer prächtigen Galeasse auf dem Wasserweg zu ihm holen zu lassen, und nachdem ich ihn wissen ließ, dass ich auch Geschaukel nicht vertrage, wurde sie auf sein Geheiß vollständig mit Kissen ausgelegt. Erst viel später hatte ich die Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen, da er häufig nach Venedig zu Besuch kam. Er liebte diese Stadt und wollte sich sogar einen Palazzo am Canal Grande kaufen. Immer wenn er mich in meinem Atelier besuchte, machte er es sich auf meinem abgenutzten Ledersessel bequem. Ja, er
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