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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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der Fotowand, in der Hoffnung, meine Tochter auf einer Aufnahme zu finden. Da ist sie! Meine Tochter lebt, und sie ist hier! Auf dem Foto ist sie umringt von Männern in grünen Uniformen und grünen Kappen mit roten Sternen. Sie lächelt strahlend. Ich frage die Männer nach ihr. Sie erinnern sich an sie. Wie sollte es auch anders sein? Immerhin kommen ja nicht täglich hübsche junge Mädchen aus Amerika durch ihre Baracke.
    »Wo ist sie hin?«, frage ich.
    »Ihr Vater ist Kulturarbeiter«, sagt ein hilfsbereiter Inspektor. »Wir haben sie zur Künstlervereinigung geschickt, damit sie ihn findet.«
    Ich lächle für die Kamera. Das fällt mir nicht schwer. Ich bin glücklich. Joy hat Z. G. gefunden, und das bedeutet, ich sollte die beiden ebenfalls sehr schnell ausfindig machen können. Das wird viel weniger kompliziert als befürchtet.
    Ich zahle eine symbolische Gebühr dafür, dass ich mein Gepäck in der Baracke lassen darf, dann laufe ich den Bund entlang, eile über die Boulevards, achte nicht auf die Umgebung. Im Empfang der Künstlervereinigung gehe ich auf eine Frau zu, die hinter einem Schreibtisch sitzt.
    »Ich suche Li Zhi-ge. Wo kann ich ihn finden?«
    »Hier ist er nicht«, sagt sie barsch.
    Bürokraten sind auf der ganzen Welt gleich.
    »Wo wohnt er denn?«, frage ich.
    Sie beäugt mich misstrauisch. »Was willst du von ihm, Genossin? Du solltest dich besser nicht mit Li Zhi-ge treffen. Er ist negativ aufgefallen.«
    Das beunruhigt mich. Der Inspektor hätte das doch bestimmt erwähnt.
    »Was hat er getan?«
    »Wer bist du?« Sie spricht lauter. »Was hast du mit ihm zu schaffen?«
    »Das ist eine persönliche Angelegenheit.«
    »In China gibt es keine persönlichen Angelegenheiten. Wer bist du?«, fragt sie noch einmal. »Willst du auch Unruhe stiften?«
    Unruhe stiften? Was hat Z. G. getan? Bitte, lieber Gott, sag mir, dass er meine Tochter da nicht mit hineingezogen hat.
    »War da ein Mädchen …«
    »Wenn du noch mehr Fragen stellst, hole ich die Polizei«, warnt sie mich.
    Kurz hatte ich gedacht, das würde einfach werden, aber nichts im Leben ist einfach, überhaupt nichts. Und ich bin nicht ich selbst. Das ist meine Heimatstadt, doch im neuen Shanghai komme ich mir tollpatschig und unzulänglich vor. Trotzdem, ich muss es noch einmal versuchen.
    »Hast du ein Mädchen gesehen? Sie ist meine Tochter …«
    Die Frau schlägt mit der flachen Hand auf ihren Schreibtisch und sieht mich wütend an. Dann greift sie zum Hörer und wählt.
    »Egal«, sage ich und ziehe mich langsam zurück. »Ich komme ein andermal wieder.«
    Ich gehe zur Tür hinaus, die Stufen hinunter und zwei Blocks weiter, bevor ich stehen bleibe. Ich schwitze vor Hitze, Feuchtigkeit und Angst. Ich lehne mich an eine Mauer, verschränke die Arme über dem Bauch, hole mehrmals tief Luft und versuche so, meine Angst unter Kontrolle zu bringen. Obwohl ich so problemlos von Bord gehen konnte, muss ich an die Schwierigkeiten an der Grenze denken. Ich muss vorsichtig sein, darf meine Suche nicht beenden, bevor sie begonnen hat.
    Mir fällt noch etwas anderes ein, wo ich hingehen könnte. Ich laufe in Richtung Französische Konzession. Früher war das eine belebte Gegend – mit Bordellen, Nachtclubs und russischen Bäckereien –, aber irgendwie sieht alles düster und trostlos aus. Auch viele Straßennamen haben sich geändert, doch nach all den Jahren erinnere ich mich trotzdem an den Weg zu Z. G.s alter Wohnung, in der May und ich damals Modell saßen. Seine Vermieterin ist immer noch da und genauso bösartig und zänkisch wie früher.
    »Du!«, ruft sie, als sie mich sieht. »Was willst du denn schon wieder?«
    Und das, nachdem sie mich zwanzig Jahre nicht gesehen hat.
    »Ich suche Z. G.«
    »Immer noch? Er will dich nicht. Wirst du das denn nie begreifen? Nur deine Schwester, verstanden?«
    Ihre Worte stechen mir wie Nadeln in die Augen. Warum sagt sie mir das jetzt, während sie es damals nie erwähnt hat?
    »Sag mir nur, wo er ist.«
    »Hier nicht. Und selbst wenn, jetzt bist du zu alt. Schau doch in den Spiegel. Dann siehst du es.«
    Die ganze Zeit über starrt sie mich an – Kleidung, Gesicht, Hände, Frisur. Wahrscheinlich hat sie mich auch gerochen, denn in meinem Schweiß riecht man die jahrelange westliche Ernährung mit Rindfleisch und Milch. Sie mag eine grausame alte Frau sein, aber dumm ist sie nicht. Sie kann unschwer folgern, dass ich aus dem Ausland komme.
    »Er ist nach der Befreiung nach Shanghai

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