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Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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galante Mann, der mir die Tür geöffnet hat, ist jetzt Professor). Ich habe noch vage in Erinnerung, dass er früher den westlichen Namen Donald benutzt hat. Er stellt sich jetzt als Dun-ao vor.
    »Wie kommt es, dass ihr alle noch hier wohnt?«, frage ich verwundert. »Was ist mit der Grünen Bande? Die wollte doch das Haus übernehmen.«
    »Das hat sie auch«, antwortet der Professor. »Aber der Pockennarbige Huang« – nach all den Jahren läuft es mir immer noch kalt über den Rücken, wenn ich diesen Namen höre – »ist ins Exil nach Hongkong gegangen. Vor sechs Jahren ist der König der Unterwelt dort gestorben.« Der Professor schnaubt verächtlich. »Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung sowieso schon seinen gesamten Besitz konfisziert.«
    »Wir dürfen hier wohnen bleiben, weil wir schon immer hier waren«, erklärt die Witwe.
    Mir steigen Tränen in die Augen. May und ich dachten, wir wären allein auf der Welt, aber hier sind Menschen, die uns kannten, und sie haben überlebt. Es ist wirklich ein Wunder.
    Plötzlich machen sie Platz, um jemanden durchzulassen. Kurz hoffe ich, dass es mein Vater ist. Ich weiß ehrlich nicht, was ich empfinden würde, wenn er es wäre. Babas Spielschulden haben unser Leben ruiniert, und er war ein großer Feigling. Aber es ist nicht Baba. Es ist Koch. Sosehr ich auch dagegen ankämpfe, mir laufen Tränen über die Wangen. Er war schon ein alter Mann, als ich ein Kind war. Wahrscheinlich ist er mittlerweile über achtzig. Er wirkt gebrechlich, und die anderen begegnen ihm mit Respekt. So sollte es sein. In China wurden die Alten schon immer geehrt.
    »Darf ich hierbleiben?«, frage ich.
    »Hast du einen Wohnberechtigungsschein?« Die Witwe wendet sich an Koch und sagt unterwürfig: »Keiner von uns will in Schwierigkeiten geraten, Direktor Koch.«
    »Niemand kommt in Schwierigkeiten«, sagt Koch. »Das war das Haus ihrer Familie, und wir haben ihr Zimmer frei gehalten.« Er dreht sich um und spricht mich direkt an. »Du darfst hierbleiben, aber du musst die Regeln des Hauses und der Straße befolgen, ansonsten werde ich dich bei den Behörden anzeigen.«
    Da begreife ich, dass die Mieter Koch nicht wegen seines Alters respektieren. Sie haben Angst vor ihm. Damals, nachdem mein Vater alles verloren hatte, behielten wir ihn bei uns, da er sonst nirgendwohin konnte. In der Neuen Gesellschaft wird er nun respektiert und gefürchtet, weil er zur roten Klasse gehört. Direktor Koch. Sie nennen ihn nicht Direktor Wang, Lu oder Eng, weil er nie einen Namen hatte. Wir nannten ihn »Koch«, weil das so üblich war. Jetzt verwaltet er mein Elternhaus.
    Der Professor nimmt mich sanft am Ellbogen und führt mich die Treppe hinauf.
    »Bilde dir ja nicht ein, alles wäre gleich geblieben, nur weil du nach zu Hause zurückgekehrt bist«, ruft Koch mir nach. »Diese Zeiten sind vorüber, kleines Fräulein!«
    Aber vielleicht doch nicht ganz so sehr, wie er meint, sonst würde er nicht meinen alten Kosenamen verwenden und sich nicht mehr »Koch« nennen lassen. Er hätte einen neuen Namen angenommen – »Auf ewig rot« oder »Rot für immer« – passend zur Neuen Gesellschaft.
    »Du machst deinen Nachttopf selbst sauber und kochst selbst«, fährt er fort. »Du wäschst deine Kleidung und übernimmst Pflichten im Haushalt. Du …«
    Heute hat mich ja schon einiges überrascht, aber als Dun-ao die Tür zu meinem Zimmer öffnet, stellt das alles in den Schatten. Es sieht noch genauso aus, wie May und ich es zurückgelassen haben – zwei Einzelbetten unter weißen, mit Glyzinien bestickten Stoffhimmeln, und an den Wänden hängen unsere Lieblings-Kalendermädchenplakate.
    »Das verstehe ich nicht«, sage ich. »Wie kann es sein, dass alles unverändert ist?«
    »Wir wussten, dass eure Eltern nicht zurückkommen würden. Direktor Koch schläft jetzt in ihrem Zimmer. Aber wir haben vermutet, dass ihr beide eines Tages zurückkehren würdet, und hier bist du nun. Allerdings ohne May …«
    Wahrscheinlich erwartet er, dass ich etwas über meine Schwester sage, aber ich kann es nicht. Ich wende mich von seinem freundlichen Gesicht ab und werfe einen Blick ins Badezimmer. Die Fliesen, die Wanne, der Spiegel … alles genau wie früher.
    »In vielen Häusern der Stadt gibt es Zimmer, die genauso aussehen«, sagt Dun-ao. »Die chinesische Regierung ist nicht immer gut, doch die chinesische Kultur ist beständig, und sie respektiert die Familie. Wir alle warten darauf, dass diejenigen, die

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