Tochter des Glücks - Roman
haben und er die Stadt verlassen hat. Ich bin versucht, noch einmal nach Joy zu fragen, aber ich weiß ja schon, dass sie bei Z. G. ist, und ich möchte keine unnötige Aufmerksamkeit auf sie lenken. Nachdem ich der Frau noch mehr Geld zugesteckt habe, verschafft sie mir einen Gesprächstermin beim Direktor der Künstlervereinigung – ein rundlicher Mann mit grauen Schläfen. Ich zahle ihm ebenfalls Schmiergeld, und er erzählt, dass Z. G. aufs Land gegangen ist, »um das echte Leben zu beobachten und daraus zu lernen« – was auch immer das bedeutet.
»Aber wo auf dem Land ist er?«
»So genau hat man mir das nicht gesagt«, antwortet er.
»Weißt du, wann er zurückkommt?«, frage ich.
»Es ist nicht an mir, das zu entscheiden«, antwortet der Direktor. »Der Fall liegt nicht länger in meiner Hand. Dafür sind jetzt Leute in Peking zuständig.«
Voller Sorgen und enttäuscht verlasse ich die Künstlervereinigung. Was hat Z. G. angestellt, dass er sich so offensichtlich in Schwierigkeiten befindet, und warum musste er meine Tochter da mit hineinziehen? Ich habe alles getan, was mir einfiel. Jetzt kann ich nur noch warten, denn eines Tages werden sie zurückkommen. Sie müssen zurückkommen. Jeder kehrt nach Shanghai zurück, wie mir alle ständig sagen. Auch ich habe das getan.
Ich putze und schrubbe mein ganzes Zimmer. Niemand hilft mir dabei. Wieso auch? Unseren ehemaligen Mietern sind die Zimmer hier zugewiesen worden. Sie zahlen monatlich umgerechnet einen Dollar zwanzig Miete, und sie möchten nicht, dass jemand denkt, sie würden einer Angehörigen der Bourgeoisie helfen. Und Koch? Ich habe Z. G.s Dienstmädchen kennengelernt und andere Dienstmädchen auf dem Markt oder bei Besorgungen für ihre Herrschaft gesehen, aber Koch hat sich in meinem Elternhaus einen Platz als Angehöriger der neuen Elite und der verehrten Massen geschaffen – um respektiert zu werden, nicht, um seinem ehemaligen kleinen Fräulein hinterherzuräumen. Außerdem ist er sowieso zu alt. Er kann keine Teppiche mehr klopfen, kann den Boden nicht wischen, die Fenster putzen oder mein Bettzeug waschen und bügeln. Ich mache das alles allein, und Mays und mein Zimmer sieht jetzt fast so aus wie damals bei unserer Abreise. Es ist unheimlich und zugleich ein Trost.
Eines Abends, eine Woche nach meiner Ankunft in Shanghai, hämmert jemand an meine Zimmertür. Ein Polizist. Mein Magen zieht sich vor Angst zusammen.
»Bist du die heimgekehrte Überseechinesin, die geborene Chin Zhen Long?«
»Ja«, antworte ich zögerlich.
»Du musst auf der Stelle mitkommen.«
Ich werde die Treppe hinuntergeführt und durch den Gang zur Haustür, vorbei an den anderen Mietern, die gaffen, mit dem Finger zeigen und tuscheln. Hat mich einer von ihnen gemeldet? Hat mich Koch angezeigt?
Man bringt mich zu einem Haus nicht weit von hier, das in eine Polizeiwache umgewandelt wurde. Ich soll mich auf eine Holzbank setzen und warten. Mehrere Leute kommen an mir vorbei, um Geburten, Todesfälle, eine Ankunft oder eine Abreise zu melden. Sie starren mich neugierig und misstrauisch an. Schon wieder fühle ich mich nach Angel Island zurückversetzt, wo May und ich in einem eingezäunten Bereich auf unsere Befragungen warten mussten. Ich habe Todesangst und hole tief Luft. Ich muss einen ruhigen Eindruck machen. Immerhin habe ich nichts angestellt.
Schließlich werde ich in ein Büro geführt. Ein junger uniformierter Beamter sitzt hinter einem zweckmäßigen Schreibtisch. Der Raum hat keine Fenster. Ein Ventilator wirbelt heiße Luft herum.
»Ich bin Inspektor dritter Klasse Wu Baoyu«, stellt er sich vor. »Ich bin mit deinem Fall betraut.«
»Mit meinem Fall?«
»Du bist der Künstlervereinigung mehrfach zur Last gefallen. Weshalb hast du dich nach Li Zhi-ge erkundigt?
Ich sage lieber nichts über meine Tochter, denn ich weiß nicht, was das nach sich ziehen könnte.
»Ich kannte ihn vor Jahren«, antworte ich. »Ich wollte unsere Bekanntschaft wieder auffrischen.«
»Du solltest aufpassen, mit wem du dich da verbündest, Genossin. Dieser Li Zhi-ge musste sich einer öffentlichen Kritik stellen. Du bist erst seit Kurzem hier, deshalb lasse ich das für dieses eine Mal durchgehen, aber ich muss dich darauf hinweisen, dass Schmiergelder nicht mehr erlaubt sind.«
Mein Magen zieht sich noch mehr zusammen, und ich bekomme feuchte Hände.
»Also, fangen wir an«, fährt er fort. »Wo wurdest du geboren?«
Die nächste Stunde geht er eine Frageliste auf
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