Tod Auf Dem Jakobsweg
ohnedies schwerreiche Leute.
«Der Kontrahent meines Vaters ist Rudolf Pfleger», erklärte Nina weiter, «der Sohn und Erbe seines Kompagnons. Seit dem Tod meines Vaters ist er alleiniger Geschäftsführer und hat die Fäden in der Hand. Er hat nicht damit gerechnet, dass sich das ändern könnte.»
«Aber jetzt, da Dietrich nicht mehr lebt, bist du als seine nächste Verwandte die Erbin, dann...»
«Eben nicht», fiel Nina ihr heftig ins Wort, «eben nicht! Mein Vater hat verfügt, falls sein Sohn innerhalb einer bestimmten Frist nicht gefunden werde, solle er nach all den Jahren für tot erklärt werden und sein Anteil Rudolf zufallen. So ganz hat er mir doch nicht vertraut — einer Frau, die Kunstgeschichte studiert und noch keine dreißig ist. Ich verstehe es ja, ich habe kaum Ahnung von diesen Geschäften, aber ich könnte es lernen und mich von vertrauenswürdigen Experten beraten lassen. Die gibt es natürlich in führenden Positionen in unserer Firma. Ich weiß zwei, die ganz sicher auf meiner Seite wären. Ich bin nicht dumm, und seine Firmenphilosophie hat mich mein ganzes Leben begleitet. Davon konnte er endlos reden, und ich finde sie gut. Er war alles andere als ein Träumer, er hatte nur seinen eigenen Kopf. Natürlich sollte ich Chemie oder Pharmazie studieren, möglichst auch noch Betriebswirtschaft. Notfalls Jura. Er hat immer gehofft dass Kunst nur eine Marotte auf Zeit sei und ich noch , so hat er gesagt. Verstehst du jetzt?»
«Halbwegs», sagte Leo zögernd, in ihrem Kopf schwirrten die Informationen, für sie passte noch nicht alles zusammen. «Du hast von einer Frist gesprochen, nach der dein Bruder für tot erklärt werden sollte. Wann läuft sie ab?»
«Sehr bald. In sechs, nein, nun nur noch in fünf Wochen.»
«Das ist knapp», murmelte Leo und verstand noch weniger, warum Nina sich auf diese gemächliche Reise eingelassen hatte, anstatt ihren Anhaltspunkten so flink wie möglich zu folgen. «Ja», wiederholte sie, «das ist wirklich knapp. Für mich sind aber noch ein paar Fragen offen, Nina. Zuerst: Was hat das mit Benedikt zu tun? Ich habe da so eine Ahnung, sag mir, ob sie stimmt. Gestern Nacht ist mir nämlich aufgefallen, dass du und Benedikt den gleichen Anorak tragt, rot mit ein bisschen Blau, wir anderen haben alle dunkelgrüne oder beige Jacken, und du bist schmaler, aber fast so groß wie er. Wenn ich mich jetzt auf eine sehr abenteuerliche Theorie einlasse, nimmst du an — oder fürchtest du—, Benedikt hatte keinen Unfall, sondern jemand hat ihn in die Schlucht gestoßen, weil er ihn mit dir in dem Nebelwetter verwechselt hat. Wir waren ja alle vermummt wie in der Arktis. Richtig?»
«Richtig», presste Nina hervor, ihr Gesicht war wieder starr und grau, «genau so ist es passiert. Deshalb bin ich schuld.»
«Der Unfall, deine Schuld, beides könnte man diskutieren. Aber erst mal weiter. Du denkst auch, das habe jemand aus unserer Gruppe getan? Dann war es schwachsinnig, zurückzukommen und dem Täter eine zweite Chance zu bieten.» ; Nina schüttelte knapp den Kopf. «Nein, ich bin jetzt gewarnt und gehe nie allein. Heute Nacht schiebe ich den Tisch vor die Tür, durchs Fenster kommt niemand herein. Das Zimmer liegt im vierten Stock, und die Fassade ist spiegelglatt, es gibt keine Balkone.»
Leo fröstelte, als sie sich vorstellte, wie Nina das Zimmer betreten und auf seine Sicherheit untersucht hatte. «Du gehst meistens mit mir, ich war als Einzige in Benedikts Nähe, als es passierte.»
«Du bist die Einzige, die ganz sicher nicht in Frage kommt. Du hast ihn gerettet. Ohne dich wäre er weiter abgerutscht und hätte sich noch schwerer verletzt. Bis ihn dort unten jemand gefunden hätte, wäre es zu spät gewesen. Mach mir mein Vertrauen in dich nicht kaputt, Leo, ich habe kein anderes. Ich habe mir selbst immer wieder gesagt, das sei nur eine verrückte Phantasie, der pure Verfolgungswahn. Seit ich aber weiß, dass Dietrich tot ist und auf welche Weise er gestorben ist, wird alles plötzlich sehr konkret.»
«Stopp! Da haben wir den nächsten Widerspruch. Wenn ich richtig verstehe, gehst du davon aus, dein Kontrahent, dieser Dingsbums Pfleger...»
«Rudolf.»
«Gut. Also, dieser Rudolf Pfleger versucht, die Erben seines Kompagnons aus der Welt zu schaffen, damit er in der Firma freie Bahn hat und das große Geld alleine absahnen kann.»
«Geld hat er auch so genug, es geht ihm um Bedeutung und Macht. Er war erst seinem, dann meinem
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