Tod Auf Dem Jakobsweg
anzutreten. Vielleicht gibt es auch zwei Komplizen. Oder drei — was weiß ich?»
«Hm», sagte Obanos nur, seine Zweifel waren deutlich zu hören.
«Ich weiß, das klingt vermutlich wenig plausibel. Ich möchte aber, dass Sie alles wissen, was uns als mögliche Erklärung eingefallen ist. Au dem Pilgerweg hat man Zeit zum Nachdenken. Da ist noch eine Variante im Angebot. Zuerst habe ich gedacht, es könne etwas mit einem Prozess zu tun haben, bei dem Benedikt einer der Anwälte des Angeklagten war. Der Mandant ist gebürtiger Spanier, soviel ich weiß, ein Baske. Er gehört zu einer Clique von Geschäftsleuten, die inzwischen allerdings eher als kriminelle Vereinigung bezeichnet wird. Vielleicht haben Sie auch in Spanien von den Bradovic-Prozessen gehört.»
Obanos nickte, was sie durchs Telefon nicht sehen konnte. Er las nach wie vor deutsche Zeitungen und wusste ihre Kurzfassung zu interpretieren.
«Es war der erste einer Reihe von anstehenden Prozessen. Der Mandant ist einer der kleineren Fische, aber er ist anders als erwartet nicht freigesprochen oder auf Bewährung verurteilt worden, sondern zu einigen Jahren Haft. Benedikt seinerseits war unter den Anwälten auch ein kleiner Fisch, ein Anschlag auf ihn könnte ein Racheakt sein. Oder eine Warnung für die anderen Anwälte, die Zeugen und Richter vor den nächsten Verhandlungen. Du meine Güte, ausgesprochen klingt das alles absurd. Seit wir von Dietrichs Tod wissen, habe ich gar nicht mehr an diese letzte Variante gedacht.»
«Mord ist meistens absurd», sagte Obanos sanft. «Verbrechen werden plausibler, wenn man weiß, warum sie verübt wurden. Worum geht es hier? Welches Problem hat Señorita Insteins Familie?»
Was er nun hörte, klang nach sehr vielen Millionen und einem sehr plausiblen Motiv.
«Sie denken also, nicht Señor Siemsen sollte in die Schlucht stürzen, sondern seine Freundin? Das passt zwar zusammen, wenn man auch noch über den zeitlichen Ablauf grübeln müsste, aber finden Sie einen solchen Plan nicht sehr — umständlich?»
«Absolut umständlich, ja. Darüber können Sie später nachdenken, jetzt geht es um etwas anderes. Wenn Sie im hostal waren, haben Sie sicher auch erfahren, dass Dietrich einen Sohn hinterlassen hat. Einen Erben. Nina fürchtet, dass nun das Kind in Lebensgefahr ist. Vielleicht sind wir wirklich bloß hysterisch, trotzdem sollte, nein, muss jemand etwas unternehmen, und wir können es nicht. Wir wissen nämlich nur, dass die beiden in Santiago sind. Wenn stimmt, was wir annehmen, ist das Kind in großer Gefahr.»
«Nicht unbedingt, falls...»
«Doch, Inspektor. Seit der deutsche Gast am Freitag nach Dietrich gefragt hat, fehlt eines von Miras gerahmten Fotos. Es zeigt Camilla und Fredo, Dietrichs Frau und Sohn. Mira sagte, beide seien darauf besonders gut getroffen. Ich nehme an, er hat es mitgenommen, um die beiden n Santiago sicher zu erkennen. Wozu sonst?»
Rasch erzählte sie, was sie darüber hinaus wusste, Namen, aber keine Anschriften, keine Arbeitgeber, keine Telefonnummern. Nichts Neues für Obanos.
«Sie haben Ihren ganzen Polizeiapparat zur Verfügung, Inspektor, wir sind nur Touristinnen. Aufgeregte Hühner, deren Geschichte man nicht ernst nehmen muss. Aber Sie waren nicht ohne Grund bei Benedikt im hospital, oder? Sie hatten einen Verdacht. Es ist sicher möglich, die beiden schnell zu finden, Santiago ist groß, aber keine Großstadt.»
«Vieles ist möglich, Señora, sehr vieles. Umso einfacher, als ich hier bin.»
«Hier?»
«In Santiago de Compostela. Ich hatte so eine dumme Idee, es könnte nützlich sein.»
«Ich liebe Ihre dummen Ideen. Dann werden Sie sich darum kümmern?»
«Ich will sehen, was ich tun kann. So sagt man doch auf Deutsch? Bleiben Sie vorerst bei Ihrer Verschwiegenheit, und passen Sie gut auf sich auf, auf sich und auf Señorita Instein. Gehen Sie beide nie allein. Am besten immer mit mehreren Das ist wahrscheinlich überflüssig, aber sicher ist sicher. Vor Ihnen liegt immer noch bergige Land, doch der Camino verläuft dort entlang freundlicher Wege durch die Täler und über die moderaten Höhen des schönen grünen Galiciens, keinerlei Absturzmöglichkeiten.»
«Danke, Inspektor, das ist ein wahrer Trost.» Plötzlich wurde ihre Stimme zum Flüstern: «Ich muss aufhören, Fritz kommt den Hügel herauf, um uns zu holen.»
Leider hatte sie ihm keine Telefonnummer gegeben, über die sie jederzeit und diskret zu erreichen war.
Er musste nachdenken, seine
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