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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Atmosphäre spüren.
    «Wo ist denn der Gral?», fragte Eva, die als Letzte die kleine Kirche betrat. Caro verdrehte aufseufzend die Augen.
    Enno hatte ihn schon entdeckt. Er stand vor dem einfachen, mit Sommerblumen geschmückten Altartisch und fotografierte die darüber angebrachte, schwarzumrahmte Glasvitrine. Sie war blutrot ausgelegt, Kelch und Hostiengefäß aus Silber und zwei doppelte, in einer kunstvollen Silberhalterung gefasste Kristallfläschchen glitzerten im Licht einer unsichtbaren Lampe.
    «Perfekt dekoriert», lobte Rita generös, «das muss ich mir für mein Schaufenster merken. Rot und Silber wirkt doch immer wieder königlich vornehm.»
    «Genau!», sagte Helene und griff nach ihrer gerade erstandenen muschelförmigen Silberspange in ihrem roten Haar.
    «In dieser Legende», begann Jakob, als sich endlich alle um ihn scharten, «geht es ausnahmsweise nicht um die Bekehrung eines einfachen Sünders, ein Priester ist der ungläubige Thomas. Die Geschichte verbreitete sich damals trotzdem schnell über ganz Europa, vielleicht auch gerade deshalb. Das Wunder hat sich im 14. Jahrhundert ereignet, also in einer Zeit, in der es schon viel Unruhe in der Kirche gab. Ein Wunder, mit dem ein Priester zur Ordnung zurückgerufen wurde, kam da nur recht.»
    An einem kalten stürmischen Tag hatte sich nur ein einziger Mann zur Messe eingefunden, bin Bauer aus Barxamayor war den steilen Weg heraufgekommen, um Gott nah zu sein. Der die Messe zelebrierende Priester sah verächtlich auf ihn hinab und dachte, der Mann müsse ein rechter Tor sein, wenn er sich für ein bisschen Wein und Brot so viel Mühe machte. Als der Moment der Wandlung kam, erkannte der erschreckte Mönch, wie sich die Hostie tatsächlich in rohes Fleisch verwandelte und der Wein im Kelch zu aufschäumendem Blut; das weiße Tuch, auf dem Kelch und Patene, das Hostienbehältnis, standen, färbte sich tiefrot.
    «Danach wird das Mönchlein wohl nie wieder am damals noch relativ jungen kirchlichen Dogma der realen Gegenwart Christi in Wein und Hostie gezweifelt haben. Etwa hundert Jahre später, anno 1486, machten die nicht minder legendären Katholischen Könige Isabella und Ferdinand auf ihrer Pilgerreise zu den Gebeinen des heiligen Santiago hier Station. Sie spendierten das kostbare Fläschchenset aus Bergkristall, das ihr in der Vitrine mit den liturgischen Gefäßen aus romanischer Zeit seht. Was von dem Wunder noch übrig war, sollte angemessen erhalten werden.»
    «In den Fläschchen ist echtes Blut?» Der sonst so spöttische Felix staunte. «Wunderblut aus dem 14. Jahrhundert?»
    «Unsinn», widersprach Edith vernünftig, «solche Geschichten sind nur Gleichnisse. Belehrungen oder verkappte Drohungen, je nachdem. Als gläubige Christin muss ich nicht an Wunder, sondern an Gott glauben.»
    «Na ja», Jakob rieb umständlich sein Ohrläppchen, «wie man’s nimmt. Oder wie man’s glaubt. Der Vatikan sieht das natürlich anders. In den schlauen Büchern habe ich nichts darüber gefunden, ob sich das Blut wieder in Wein zurückverwandelt hat. Ich denke, wie bei allem, was mit Religion zu tun hat, sollte die Entscheidung auch dieser Frage jedem selbst überlassen sein. Und nun, ihr peregrinos: eine Stunde zum Vertrödeln, dann fährt der Bus ab. Gnadenlos», betonte er grinsend. «Also achtet auf eure Uhren. Das Museum ist im palloza gleich gegenüber, der Souvenirladen auch. Wer noch ein paar Meter schafft — der Hügel hinter dem Dorf ist mit knapp tausenddreihundert Metern nach den Pyrenäen-Pässen der höchste Punkt des camino und der allerbeste Aussichtsplatz. Sehr zu empfehlen.»
    Zwar war die halbe Gruppe den fast kahlen, von einem Sendemast gekrönten Hügel hinaufgeschlendert, doch bis zur halben Höhe ließen sie sich einer nach dem anderen ins Gras fallen. Weiter oben waren Nina und Leo ungestört gewesen und hatten endlich Inspektor Obanos erreicht.
    Nun rollte der Bus auf einer schmalen und kurvigen, in weiten Strecken von dichtem Mischwald, mächtigen Kastanien und Eichen gesäumten Landstraße von der Höhe hinab ins Tal des Río Miño. Dank des feuchten galicischen Klimas war das Land von sattem Grün. Es gab Wiesen, Felder und buschige Hecken, kleine Dörfer, abseitsliegende Klöster, vereinzelt Weinberge und, wo der camino auf der Landstraße verlief, zunehmend Pilger.
    So sei es immer, hatte Jakob erklärt, je näher man Santiago komme, umso mehr seien unterwegs. Nicht alle gingen den ganzen Weg. Auch wer nur die letzten

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