Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
Vom Netzwerk:
Cornut reichte ihm die Übereinkunft im Sterbefall, die auch die Inventarliste von Carls Nachlaß enthielt. Der Polizist studierte es gründlich und schüttelte dann den Kopf. »Nicht viel Geld, aber er hatte auch nicht viel nötig, oder? Es bringt kein Licht in die Sache.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Tja«, sagte er, »ich begleite Sie. Wir müssen zur gerichtlichen Untersuchung.«
     
    Aus Respekt für die Universität hatte der Untersuchungsrichter ein Dutzend Hochschullehrer zu seinen Geschworenen berufen. Nur einer davon gehörte der Mathematischen Fakultät an, eine Professorin namens Janet, aber Cornut kannte auch mehrere andere flüchtig von den Fakultätstees und Spaziergängen auf dem Campus.
    St. Cyr bezeugte kurz und mit seinem üblichen tonlosen Pendelticken, daß Master Carl zuvor keine Symptome des Wahnsinns gezeigt habe, in der Nacht seines Todes allerdings rasend und bedrohlich gewesen sei.
    St. Cyrs Haushälterin bezeugte das gleiche und fügte hinzu, sie habe um ihr eigenes Leben gezittert.
    Der Leibwächter, der Carl getötet hatte, betrat den Zeugenstand. Cornut fühlte, wie Locille auf dem Platz neben ihm zusammenfuhr; er verstand sie; er empfand den gleichen Widerwillen. Der Mann schien sich jedoch nicht von anderen zu unterscheiden; er war mittleren Alters, kräftig und hatte einen Sprachfehler, in dem St. Cyrs eigener leicht anklang. Er erklärte, daß er seit fast zehn Jahren in St. Cyrs Diensten stehe; daß er früher Polizist gewesen sei und daß reiche Männer häufig ehemalige Polizisten als Leibwächter engagierten; und daß er nie zuvor jemanden getötet habe, um St. Cyrs Leben zu verteidigen. »Aber der da. Der war gefährlich. Der war … im Begriff … jemanden umzubringen.« Er stieß die Worte nur langsam hervor, ohne jedoch besonders aufgeregt zu wirken.
    Dann kamen noch einige andere an die Reihe – Cornut selbst, der Nachtproktor, der Studentenbibliothekar, sogar der Sexautor Farley, der aussagte, daß Master Carl bei seiner einzigen persönlichen Begegnung mit ihm tatsächlich sehr aufgebracht gewesen sei, doch das habe an den Umständen gelegen; er habe ihm von Master Cornuts letztem Selbstmordversuch berichtet. Cornut bemühte sich, die Blicke, die sich auf ihn richteten, zu ignorieren.
    Das Urteil fiel nach fünf Minuten: »Bei dem Versuch, einen Mord zu begehen, in Notwehr getötet.«
    Mehrere Tage mied Cornut St. Cyrs Wohnsitz, um nicht Carls Henker zu begegnen. Er hatte den Mann vor Carls Tod nie gesehen und wollte ihn nie wiedersehen.
    Doch die Zeit verstrich, und Carls Tod verblaßte in seinem Gedächtnis; seine eigenen Schwierigkeiten bereiteten ihm mehr Kopfzerbrechen. Tag um Tag verging, und er näherte sich dem bisherigen Rekord der Selbstmörder, erreichte ihn dann und übertraf ihn schließlich. Er war immer noch am Leben.
    Er war immer noch am Leben, dank Locilles endloser Geduld und Wachsamkeit. Nacht für Nacht beobachtete sie ihn beim Einschlafen, Morgen für Morgen stand sie vor ihm auf. Sie begann blaß auszusehen, und er fand heraus, daß sie in der Garderobe ein Nickerchen machte, während er Vorlesungen hielt; aber sie beklagte sich nicht. Sie erzählte ihm auch nicht, bis er die Narben entdeckte und es erriet, daß er sich, obwohl sie an seiner Seite wachte, innerhalb einer Woche zweimal fast die Pulsadern durchschnitten hatte, das erste Mal mit einem Brieföffner, das zweite Mal mit einem zerbrochenen Glas. Als er sie ausschimpfte, weil sie es ihm verschwiegen hatte, küßte sie ihn. Das war alles.
    Er hatte auch seltsame Träume; beim Erwachen erinnerte er sich deutlich daran, und eine Weile erzählte er sie Locille, ließ es dann aber sein. Sie waren höchst sonderbar. Sie drehten sich darum, daß er beobachtet wurde, von irgendeinem groben gereizten Wärter oder von einer feindseligen römischen Menge, die sein Blut in der Arena sehen wollte. Sie waren unerfreulich, und er versuchte, sie zu deuten. Es lag wohl daran, daß er unbewußt spürte, daß Locille ihn beobachtete, sagte er sich; aber im nächsten Atemzug sagte er: Paranoia. Er glaubte nicht daran … Aber was dann? Er dachte daran, seinen Analytiker nochmals aufzusuchen, aber als er es Locille gegenüber erwähnte, sah sie nur noch blasser und angespannter aus. Ihre Liebe hatte etwas von der unvermittelten Freude eingebüßt, und das bedrückte Cornut; aber es kam ihm nicht in den Sinn, daß das wachsende Vertrauen und die wachsende Verbundenheit zwischen ihnen vielleicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher