Todesengel: Roman (German Edition)
»Jep«, meinte er. »Sagt mir was.« Er warf sich in seinen Schreibtischstuhl, ließ die Finger über die Tastatur sausen. »Genau. Hat schon eine dicke Akte. Vorstrafen aller Art, Therapien, gemeinnützige Arbeit. Das übliche Profil.«
»Schreib mir mal seine Adresse auf«, bat Ambick. Er würde einfach bei ihm vorbeigehen und mit ihm reden. Ihm zu verstehen geben, dass sie Bescheid wussten. Sie konnten ihm zwar im Moment nichts beweisen, aber das musste er ihm ja nicht auf die Nase binden. Vielleicht schaffte er es, ihm genug Angst einzujagen, dass diese Überfälle aufhörten.
»Übrigens, Ortheil ist jetzt da«, fiel Enno ein. »Hab ihn gerade vorne bei Schmidt und Schmitt gesehen.« Ingmar Schmidt und Ludwig Schmitt waren zwei Drogenfahnder, die das letzte Büro vor den Toiletten hatten.
»Gut, dann schnapp ich mir den gleich mal«, meinte Ambick und stand auf.
Er erwischte den Staatsanwalt auf der Treppe ins Erdgeschoss. Ortheil sah heute ausgesprochen schlecht aus – weiß wie eine Wand, in sich gekehrt, gebeugt wie unter einer schweren Last. Seine Locken waren durcheinander und ließen jeden Glanz vermissen. Sogar seine Krawatte hatte er nur schlampig gebunden. Er sah aus wie ein Mann, der entweder im Begriff stand, ernsthaft krank zu werden, oder der gerade den Schock seines Lebens erlitten hatte.
Als Ambick ihm mit gedämpfter Stimme von ihren neuesten Erkenntnissen berichten wollte, winkte Ortheil nach wenigen Sätzen ab. »Ja, ja«, sagte er. »Wir lassen Blier wieder frei. Ich bin schon unterwegs zur Richterin.«
Damit drehte er sich um und ging.
»Es war Ortheils Frau«, erklärte Johannes Barth später in der Teeküche, seinen Teebeutel fortwährend eintunkend und herausziehend. »Sie hatte eine Affäre mit Blier, und die hat sie ihm gestern Abend gestanden.«
»Sag bloß«, meinte Ambick, während die Kaffeemaschine gurgelte und pfiff.
»Haben sich bei einem Empfang im Oberbürgermeisteramt kennengelernt, am Tag der Deutschen Einheit. Er war als Begleitung eines Generals dort, sie als Begleitung ihres wichtigen Mannes, des Oberstaatsanwalts. Obere Zehntausend und so. Und dann begegnet man sich am Büfett, ein Wort gibt das andere … Tja. So etwas passiert.«
Der Kaffee roch mal wieder seltsam, irgendwie ölig. Ambick tat zwei Stück Zucker und einen Schuss Milch hinein. »Blier hat also die Wahrheit gesagt.«
»Von seiner Seite aus verständlich«, räsonierte der Psychologe. »Bettina Ortheil ist nun wirklich keine Frau, die man von der Bettkante stoßen würde. Von ihrer Seite aus dagegen ein ziemliches Risiko – allein der Verlust an gesellschaftlichem Status, wenn ihr Mann sich scheiden lassen sollte. Da dürfte dieser bevorstehende Auslandseinsatz eine Rolle gespielt haben, nehme ich an. Ist ja nicht gesagt, dass man als Soldat da unversehrt zurückkommt.«
Die Milch flockte aus. Ambick roch an der Milchtüte und verzog das Gesicht. Sauer. »Man könnte meinen, du wärst dabei gewesen«, meinte er.
Johannes Barth zog den Teebeutel endgültig heraus und ließ ihn in den Mülleimer fallen. »Ich gebe nur wieder, was der Flurfunk meldet. Die gewöhnlich gut unterrichteten Kreise. Du weißt schon.«
»Ja«, sagte Ambick, leerte seinen Kaffee in den Ausguss und die brockigen Überreste der Milch ebenfalls. »Bloß hilft uns das nicht weiter. Damit wissen wir, dass irgendwo da draußen ein mit indianischen Rauschmitteln vollgedröhnter Mann herumläuft, der ein Superheldenkostüm trägt, zwei geladene Pistolen in der Tasche und nichts mehr zu verlieren hat. Wir wissen nicht, wo er ist, wir wissen nicht, was er vorhat, und wir haben keine Ahnung, wie wir ihm zuvorkommen sollen.«
Kevin war, gelinde gesagt, äußerst unbegeistert, von Ingo begleitet zu werden. Auf dem Weg zur Haltestelle marschierte er so straffen Schrittes vornweg, als wolle er sagen: Wenn du nicht mithalten kannst, umso besser . Und als er neben Ingo in die U-Bahn stieg, fauchte er: »Ich bin doch kein Baby. Ehrlich.«
»Es ist der Wunsch deiner Mutter«, erwiderte Ingo, der auch Besseres mit seiner Zeit anzufangen gewusst hätte.
Sie setzten sich einander gegenüber. »Das sieht einfach blöd aus«, maulte Kevin weiter.
»Ich geh nicht mit hoch«, meinte Ingo. »Keine Sorge.«
Kevin knurrte nur unwillig, holte sein Handy heraus und begann, ein Spiel darauf zu spielen, das enorm nervende Piep-Geräusche von sich gab. Nicht unbedingt das, was die Verkehrsbetriebe in ihren Bahnen schätzten, aber Ingo beschloss,
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