Todesreigen
begann, in Richtung Straße zu laufen. Unterwegs stolperte er, rappelte sich aber wieder auf und setzte seine eilige Flucht vom Pier fort.
Kari Swanson erhob sich und rief ihm nach: »Liebst du mich, David? Liebst du mich noch, David? Tust du das? Liebst du mich?«
»Hey, Cath«, sagte der Mann und betrachtete prüfend den Einkaufswagen, den sie vor sich herschob.
»Was ist?«, fragte sie. Mit der Operation war »Kari« offiziell begraben, und sie akzeptierte nur noch Varianten des Namens Catherine.
»Ich glaube, uns fehlt noch etwas«, erwiderte Carl mit übertriebener Ernsthaftigkeit.
»Was denn?«
»Junk Food«, antwortete er.
»Oh, nein.« Auch sie runzelte die Stirn in gespieltem Schrecken, als sie den Inhalt des Wagens noch einmal überprüft hatte. »Nachos könnten das Problem lösen.«
»Ah. Eine gute Wahl. Bin gleich wieder da.« Carl – ein Mann mit unkompliziertem Temperament und einem unerschöpflichen Vorrat an unförmigen Seemannspullovern – schlenderte das Regal mit den Snacks entlang. Er war ein Spätentwickler, Anwalt auf dem zweiten Bildungsweg und genau fünf Jahre älter und fünf Zentimeter größer als Cathy. Er hatte sie vor zehn Tagen beim jährlichen Fest zum St. Patrick’s Day in Crowell angesprochen, und seitdem hatten sie ein halbes Dutzend wunderbare Nachmittage und Abende zusammen verbracht, an denen sie genau genommen gar nichts getan hatten.
Gab es eine Zukunft für sie beide? Cathy hatte keine Ahnung. Sicher genossen sie die Gesellschaft des jeweils anderen, aber Carl war noch nicht über Nacht geblieben. Und er hatte sie noch nicht über seine Exfrau ins Bild gesetzt.
Was selbstverständlich zwei wichtige Meilensteine in der Entwicklung einer Beziehung waren.
Doch es gab keinen Grund zur Eile. Catherine Swanson war nicht auf der Suche nach einem Mann. Ihr Leben war eine angenehme Melange aus Geschichtsunterricht an der High School, Joggen an der felsigen Küste von Massachusetts, ihrer Magisterarbeit an der Boston University und ihrer Zeit bei einem großartigen Therapeuten, der ihr half, David Dale zu vergessen – in den letzten sechs Monaten hatte sie nichts von dem Stalker gehört.
Während sie in der Schlange an der Kasse langsam vorankam, versuchte sie, sich zu erinnern, ob sie noch Holzkohle für den Grill hatte. Sie dachte…
»Sagen Sie, Miss, Entschuldigung«, murmelte eine leise Männerstimme hinter ihr. Sie erkannte die Intonation augenblicklich – den nervösen, intimen Klang der Besessenheit.
Keuchend drehte Cathy sich um und sah sich einem jungen Mann im Trenchcoat mit einer langen Strickmütze gegenüber. Sofort fielen ihr die Hunderte von Fremden ein, die ihr gnadenlos auf den Straßen nachgejagt waren, in Restaurants und beim Anstehen an der Kasse genau wie hier. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen. Ihr Herz fing wild an zu hämmern, ihre Lippen zitterten. Sie öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
Doch dann bemerkte Cathy, dass der Mann sie gar nicht ansah. Sein Blick hing an einem Regal mit Zeitschriften gleich neben der Kasse. »Die
Entertainment Weekly
da drüben«, murmelte er. »Würde Sie sie mir bitte herübergeben?«
Sie reichte ihm die Zeitschrift. Ohne ihr zu danken, blätterte er schnell zu einem Artikel in der Mitte. Cathy wusste nicht, was für eine Story es war, nur dass sie mit drei oder vier Bildern einer spärlich bekleideten jungen Brünetten illustriert war, die er konzentriert betrachtete.
Cathy zwang sich langsam zur Ruhe. Dann plötzlich hob sie die zitternden Hände zum Mund und lachte laut los, bis ihr die Tränen kamen. Der Mann blickte kurz von den Fotos seiner Traumfrau auf und wandte sich dann wieder der Zeitschrift zu, nicht im Geringsten neugierig auf diese große, alltägliche Frau und das, was sie so amüsierte. Cathy wischte sich die Tränen aus den Augen, drehte sich wieder zu ihrem Einkaufswagen um und legte ihr Gemüse aufs Band.
Der Sündenbock
Das Scheinwerferlicht erhellte den sinnlichen Schwung der vor ihr liegenden Straße.
Zwischen den dunklen Fichten hindurch folgte sie den Kurven immer links – rechts, links – rechts. Ein feuchter Abend, kühl für den Frühling. Ihr Lexus verirrte sich auf dem nassen Asphalt ein Stückchen über den Mittelstreifen, und sie fragte sich, ob sie zwei oder drei Martinis mit Don getrunken hatte.
Nur zwei, entschied sie und erhöhte das Tempo. Sie fuhr diese Straße von ihrem Arbeitsplatz in New Hampshire zu ihrem Haus direkt hinter der Grenze zu
Weitere Kostenlose Bücher