Todesspiel
besser, man würde den Leuten, die Passwörter festlegen müssen, empfehlen, dabei an einen Menschen oder einen Ort zu denken, der für sie bedeutsam ist, dann einen oder zwei Buchstaben abzuziehen und schließlich eine oder zwei bedeutsame Zahlen hinzuzufügen. So könnte man zum Beispiel den zweiten Vornamen des Vaters nehmen, ihn rückwärts schreiben, dann den Geburtstag der Mutter anfügen. So hätte man ein Passwort, das man sich immer wieder aufs Neue gedanklich rekonstruieren könnte, man müsste es sich nicht notieren und der Gefahr aussetzen, dass es geklaut wird und Aufnahme in die Unterlagen eines Hackers findet. Wie die Sachlage aber nun einmal ist, sehen die meisten Hochsicherheits-Passwörter wie der Registrierungskode auf der Rückseite einer Windows-Software-Packung aus.
Ich fand kein notiertes Passwort, weder in Stroms Adressbuch noch in ihrem Scheckbuch; ich scannte einen kleinen Tischkalender und blätterte einen Wandkalender mit Motiven englischer Gemüsegärten durch – vergebens. Die Überspielung der Dateien war inzwischen abgeschlossen, und ich durchforstete ihren Computer nach anderen Dateien, fand aber nichts Interessantes.
Das Handy klingelte. Nur einmal – LuEllens Signal, dass ich mich jetzt zehn Minuten im Apartment aufhielt. Höchste Zeit zu verschwinden. Es kann zu viel passieren, wenn man bei einem Einbruch zu lange in der fremden Behausung bleibt. Leute sehen Licht im Fenster oder unter der Tür und entschließen sich, kurz mal bei dem Freund oder Bekannten reinzuschauen. Oder der Wohnungsinhaber kommt nach Hause.
Kein großer Erfolg. Computer ausschalten. Aufgeben …
Auf dem Weg nach unten verständigte ich LuEllen, und als ich in der Eingangshalle ankam, war sie bereits auf dem Weg zum Wagen. Ich folgte ihr, stieg ein, und sie fragte: »Und?«
»Ich weiß nicht … Wahrscheinlich kaum was Wichtiges.«
»Du Versager …«
»Na ja, ich habe eine Menge Zeug auf meinen Laptop überspielt, aber das meiste davon scheint persönlicher Kram zu sein. Keine Passwörter.«
»Sie hat einen M. A. in Russisch, und dazu braucht man ja wahrscheinlich ein gutes Gedächtnis – vielleicht speichert sie ihre Passwörter einfach nur in ihrem Gehirn ab.«
»Kann sein. Aber viele dieser Hochsicherheitsbehörden verlangen jeden Monat eine Änderung der Passwörter, vielleicht sogar wöchentlich.«
Ich kriegte ihre Passwörter schließlich raus – mit LuEllens Hilfe erheblich schneller, als ich es allein geschafft hätte …
Zurück im Hotel sah ich mir das Zeug an, das ich aus Stroms USB Data Key auf meine Festplatte kopiert hatte. Als Erstes stieß ich auf einen Roman, Kapitel 1 bis 17.
»Ach du lieber Himmel, sie schreibt einen Roman«, sagte ich grinsend zu LuEllen. Ich schaute mir eine Seite an. »Guter Stil.«
»Was für ein Genre?« LuEllen war eine eifrige und gebildete Leserin.
»Irgendeine Kriminalstory«, sagte ich. »Die Hauptperson, eine junge Frau, ist anscheinend Kopfgeldjägerin oder so was. Aber das bringt uns ja wohl hinsichtlich dieser ominösen Arbeitsgruppe nicht weiter.«
Ich schloss die Roman-Datei und sah mir den Stoff an, den ich von Stroms Desktop kopiert hatte. Zunächst stieß ich auf ihre Datei »Finanzen« und war über das, was ich da zu sehen bekam, doch ziemlich überrascht. Für eine dreiunddreißigjährige
Angestellte in mittlerer Position stand sie finanziell ausgesprochen gut da. Ich ging ein wenig in die Tiefe und stellte fest, dass sie eine Erbschaft von ihrem Großvater gemacht hatte, fast eine halbe Million Dollar, alles sicher angelegt. Die nächste Datei schien eine Reihe von Briefen zu enthalten, aber ich konnte nicht sicher sein, da sie in Russisch abgefasst waren.
Ich verließ die Datei, rieb mir den Nacken. »Ich muss mich mal ein paar Minuten unter die Dusche stellen. Ich habe zu lange auf den Bildschirm gestarrt.«
»Wir sollten joggen gehen«, sagte LuEllen. Sie stand auf und streckte sich. »Meine Muskulatur ist auch verspannt.«
»Okay, wir erkundigen uns am Empfang, wo’s eine gute Strecke gibt«, stimmte ich zu. »Ich dusche dann später, gehe jetzt nur noch schnell Pipi machen und mir das Gesicht waschen.«
»Bleib erst mal noch ein paar Minuten sitzen, ich massiere dir die Schultern.« Sie fing an, mir die Hals- und Schultermuskeln durchzukneten, sah zwischendrin auf den Laptopscreen, fragte: »Wo ist dieser Roman?«
Ich klickte die Datei an, Word öffnete sich, dann erschien die erste Seite des Romans auf dem Screen.
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