Todtstelzers Krieg
ließen sie sich von Zuckerbrot und Peitsche überzeugen. Außerdem war es, wie Ohnesorg schon festgestellt hatte: Niemand
hatte die spätere Möglichkeit einer privaten Vendetta ausgeschlossen …
Etwas Gutes hatte die getroffene Vereinbarung dann doch
noch: Valentin Wolf vertraute nicht darauf, daß er in Sicherheit
war, nach allem, was er getan hatte, und so floh er aus dem
Turm Wolf und suchte am Hof der Löwenstein Zuflucht. Indem er den Turm verließ, brach er die Abmachungen und
machte sich selbst zu einem legitimen Ziel für jeden, der Lust
hatte, ihn zu jagen. Allmählich strömten auch die Zivilisten in
ihre Stadt zurück. Sie spürten, daß das Schlimmste ausgestanden war. Sie jubelten den Rebellen zu und forderten den Sturz
der Eisernen Hexe. Sie rissen ihre Statuen um und spuckten
darauf; sie steckten öffentliche Gebäude in Brand und stürmten
durch die Straßen. Die Aussicht auf Freiheit machte sie trunken
vor Freude. Der Untergrund mußte die Menschenmassen von
den Kampfschauplätzen weg dirigieren, um die wachsende
Begeisterung und die zunehmenden Plünderungen unter Kontrolle zu halten, und das tat seiner allgemeinen Popularität einen gewissen Abbruch. Aber damit konnte und mußte man
leben. Jetzt gab es wichtigere Dinge, über die es nachzudenken
galt. Die Führer der Bewegung wußten, daß der Krieg nicht
vorüber war, solange die Löwenstein noch warm und sicher in
ihrem Stahlbunker tief unter der Oberfläche saß, weit weg von
den Kämpfen.
SB Chojiro und Gregor Shreck hatten den Turm Chojiro verlassen, um ihren Leuten die gute Nachricht zu verkünden. Ruby Reise, Alexander Sturm und Jakob Ohnesorg waren allein
zurückgeblieben. Jakob Ohnesorg hatte sich bereits mit dem
Untergrund in Verbindung gesetzt und sie über seine Vereinbarung mit den Familien informiert, und jetzt dachte er angestrengt über all die möglichen Fußangeln nach, um sicherzugehen, daß er am Ende nicht doch noch einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
Ruby stapfte voll stiller Wut auf und ab. Sie trat gegen das
Mobiliar und stopfte sich alles Helle und Glitzernde in die Taschen, das einigermaßen wertvoll aussah. Sturm beobachtete
die beiden eine Weile und schwieg. Schließlich drehte Jakob
Ohnesorg sich zu ihm um und entdeckte einen merkwürdigen
Ausdruck auf Alexanders Gesicht.
»Was ist los, alter Freund?« fragte er. »Die Rebellion ist vorbei, trotz aller Unkenrufe.«
»Nein«, widersprach Sturm. »Die Rebellion ist nicht vorbei,
solange die Imperatorin noch auf dem Eisernen Thron sitzt. Sie
hat jede nur erdenkliche Unterstützung. Waffen, Menschen,
Geheimnisse, von denen der Untergrund noch nicht einmal
etwas ahnt. Sie kann noch immer alles zu ihren Gunsten entscheiden, und die Menschen in den Straßen würden ihren Sieg
genauso laut bejubeln, wie sie jetzt nach ihrem Kopf schreien.
Die Löwenstein wußte von Anfang an, daß ein Tag wie dieser
irgendwann kommen konnte. Glaubst du allen Ernstes, die Familien wären die einzigen, die den vollständigen Untergang
herbeiführen können?«
»Wenn die Eiserne Hexe noch irgendwelche letzten häßlichen Überraschungen für uns hätte, wären sie längst zum Einsatz gekommen«, sagte Ruby Reise.
»Ist es das, was dich so aus der Fassung bringt?« fragte Ohnesorg. »Vergiß es, Alexander. Ruby hat recht. Nun mach
schon ein fröhlicheres Gesicht. Ich habe dich noch nicht ein
einziges Mal lächeln sehen, seit wir hier sind.«
»Sie kamen zu dir, um den Waffenstillstand auszuhandeln«,
sagte Sturm. »Nicht zu mir. Und das, obwohl ich offiziell den
Untergrund vertrete. Sie vertrauten deinem Wort, nicht meinem. Mag sein, daß das nur eine Kleinigkeit ist, aber sie bringt
das Faß endgültig zum Überlaufen.« Er bedachte Ohnesorg mit
einem fast hilflosen Blick. »Und trotzdem wird es schwerer, als
ich ursprünglich gedacht habe.«
»Wovon redest du?« fragte Ohnesorg. »Sieh mal, wenn du
irgendwas zu sagen hast, dann spuck es aus! Ich habe keine
Zeit, mir auch noch über deine verletzten Gefühle Gedanken zu
machen!«
»Zeit«, sagte Sturm. »Das alles hat etwas mit Zeit zu tun. Die
Zeit stiehlt uns unser Leben, Tag um Tag, und wir erkennen
erst, wieviel wir verloren haben, wenn es zu spät ist. Wir beide,
du und ich, wir kämpften viele Jahre lang Seite an Seite, und
wofür? Für nichts. Wir gaben unsere Jugend auf, alle Chancen
auf eine Frau und Kinder und ein Zuhause und ein ganz normales glückliches Leben, und alles für
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