Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
flaumiger brauner Schnurrbart liegt ihm wie eine Raupe auf der Oberlippe. »Was wollt ihr?«
»Wir kommen unseren Vater besuchen. Er ist einer der Häftlinge.« Ich senke den Blick und versuche, so unterwürfig wie möglich zu klingen.
»Tut mir leid, Miss. Besuche sind erst in einer Stunde erlaubt.«
»Können wir nicht drinnen warten? Es ist so kalt hier draußen.« Maura blickt unter gesenkten Wimpern zu ihm auf und zieht zitternd den schäbigen Umhang enger um sich.
Der Wächter wird milder, als er Mauras Gesicht betrachtet. Sie konnte es natürlich nicht lassen, sich besonders hübsch zu machen. »In Ordnung. Geht geradeaus durch. Da sind noch ein paar andere, die sich am Feuer wärmen. Aber nähert euch dem Häftling nicht, bevor ihr die Erlaubnis dazu bekommt, verstanden? Ihr dürft ihm kein Essen oder Decken geben, ehe die Wächter es sagen. Sonst bringt ihr ihn nur in Schwierigkeiten.«
»Vielen Dank, Sir«, antworten wir.
In dem riesigen Raum wärmen sich ein halbes Dutzend Mädchen und Frauen die Hände an einer Feuertonne. Die meisten haben Körbe mit Essen dabei, und da erst fällt mir auf, dass auch wir Lebensmittel für unseren angeblichen Vater hätten mitbringen sollen. Ich blinzle, weil mir der Rauch in den Augen brennt. Es dauert einen Moment, bis ich Tess am anderen Ende des Grüppleins entdecke. Ihr blondes Haar steckt unter einer ungewohnten blauen Kapuze. Ich halte direkt auf sie zu, und sie sieht die zwei merkwürdigen Frauen, die sich ihr mit finsterem Blick nähern, verwirrt an, bis ich ihr zuraune, dass wir es sind. »Was machst du hier?«
»Vater besuchen, genau wie ihr. Ich habe ihm eine Decke mitgebracht«, sagt sie laut und hält uns eine von Motten zerfressene rote Decke hin.
»Es war verrückt von dir, einfach so alleine loszulaufen. Das hier ist kein Ort für kleine Mädchen«, erklärt Maura und zieht sie zur Seite.
In einer Ecke stehen drei weitere Wachen und rauchen Pfeife. Ein paar der Frauen, die um das Feuer herum stehen – Mütter der Häftlinge? Ehefrauen? – sehen uns neugierig an, aber die meisten unterhalten sich leise und stampfen mit den Füßen, um sich warm zu halten. Falls Yang auch kommen sollte, ist er jedenfalls noch nicht da; außer den Wächtern sind hier keine Männer.
Zu unserer Rechten befinden sich eine Reihe Zellen, die alle mit einer schweren metallenen Schiebetür verschlossen sind. Ich kann die Gefangenen nicht sehen, aber ich höre ihr leises Stimmengewirr – und ich kann sie riechen. Der Gestank ungewaschener Körper und menschlicher Exkremente weht zu uns herüber, und auch mit mehreren Metern Abstand erregt er Übelkeit in mir. Wie die Häftlinge das wohl aushalten? Wie lange werden die Brüder sie hier noch festhalten? Es sind bereits zwei Tage vergangen. Bei dieser Kälte werden die Leute bestimmt krank. Und was ist mit denen, die keine Familien haben, die ihnen Essen bringen? Lässt man sie hier verhungern?
Doch ich schüttle mein Mitleid gleich wieder ab. Ich bin hier, um Tess heil aus dieser Sache herauszubekommen.
»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, flüstere ich wütend.
»Sieh dir das hier doch nur an! Die Leute werden gehalten wie Tiere«, faucht Tess störrisch und wirft vielsagende Blicke auf die Fleischhaken, die von der Decke hängen, und die Blutflecken auf dem kalten Betonboden. »Das hier ist kein Lagerhaus, es ist ein Schlachthaus, und es ist kein Ort, an dem Menschen festgehalten werden sollten. Ich will ihnen helfen. Ich kann es. Ich weiß, dass ich es kann.«
»Was kümmert es dich überhaupt?« Maura schiebt die Hände in die Taschen. »Wir kümmern sie jedenfalls nicht. Wenn wir eingesperrt wären, würden sie den Schlüssel wegwerfen. Oder Schlimmeres.«
Tess’ Wangen und Nase sind rot von der Kälte. »Das weißt du doch gar nicht.«
»Oh doch. Und du bist naiv, wenn du etwas anderes glaubst«, erklärt Maura und wirft sich die braunen Locken über die Schultern.
»Cate?« Tess hält mir fragend die offene Hand entgegen. »Auch wenn das stimmt, sollten wir trotzdem besser sein. Wir sollten ihnen helfen, weil wir es können, weil es richtig ist. Und wenn wir ihnen nicht helfen, kommen sie alle aufs Gefängnisschiff.«
»Woher hast du das denn?«, fragt Maura und sieht dabei zu der rundlichen grauhaarigen Frau, die am dichtesten neben uns steht.
»Das hat einer der Wächter gesagt. Wir können es verhindern, aber wir müssen es jetzt tun. Bevor der Sturm noch schlimmer wird.« Tess zeigt auf die dicken
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