Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Yang hinterher, bis er nicht mehr zu sehen ist, dann geht Mei zurück in den Salon, lässt sich aufs Sofa fallen und sieht mich mit purer Verzweiflung an.
»Ich sollte nach Hause gehen«, sagt sie.
»Es könnten sicherlich alle verstehen, wenn du für ein paar Tage zu deiner Familie willst.« Ich kauere mich nieder, um den Kamin anzuzünden.
»Ich meine für immer. Vielleicht kann ich ja heimlich für jemanden arbeiten. Ich bin zwar nicht so gut im Nähen wie Li, aber ich könnte es zumindest versuchen. Oder ich könnte mich um die Kleinen kümmern, damit Mama arbeiten kann«, sagt Mei.
Ich beuge mich über den Kamin, um die Holzscheite mit dem Schürhaken zu verschieben. »Du wirst in ein paar Wochen siebzehn. Du müsstest dir ziemlich schnell einen Ehemann suchen.«
Mei lässt ihre roten Schuhe fallen und zieht die Füße unter sich. »Baba hat Freunde, deren Söhne chinesische Frauen heiraten wollen. Ihre Familien würden vielleicht eine Mitgift für mich zahlen. Hier kann ich doch nichts ausrichten. Und es wird eh nicht lange dauern, bis die Brüder die Klosterschule ganz schließen.«
»Ich fände es schade, wenn du gehen würdest«, gebe ich zu und stoße wieder mit dem Schürhaken ins Feuer. Ein Holzscheit fällt mit einem Funkenregen herunter. Selbstsüchtig hoffe ich, dass sie bleibt und mir mit dem Plan für Harwood hilft. Beim bloßen Gedanken daran zieht sich mir der Magen zusammen. Es sind jetzt noch drei Tage. Elena war diese Woche nicht da, sie hat ihre Familie am anderen Ende der Stadt besucht. Aber sie war eben beim Frühstück. Ich werde sie um Hilfe bitten müssen, auch wenn es mir nicht gefällt.
Da klopft es leise an der Tür, und Tess schaut herein. Sie lächelt und erwartet offenbar, von der gelungenen Befreiungsaktion zu hören. »Was ist mit deinen Schwestern passiert, Mei?«
Ich winke ab, meine Nerven liegen blank. Tess wird verzweifelt sein. »Ich erzähle es dir später, Tess.«
Ihr Lächeln verblasst. »Nein. Erzähl es mir jetzt.«
Mei stützt ihr Kinn auf die Knie. »Sie sind gestern entkommen, aber heute Morgen wieder gefangen genommen worden.«
»Nein.« Tess reißt die grauen Augen auf. »Wie das?«
»Die Wächter sind von Haus zu Haus gegangen, und haben alle Häftlinge wieder mitgenommen, sagt Yang. Sie sind für fünf Jahre aufs Gefängnisschiff gebracht worden.«
»Nein. Oh nein. Das ist alles meine Schuld.« Tess lässt sich auf den Boden fallen, und ihr graues Taftkleid legt sich in Stoffbahnen um sie herum.
»Tess«, warne ich sie, während ich aufspringe und die Tür hinter ihr zuziehe, »sei nicht dumm. Du hattest damit nichts zu tun!«
»Ich dachte, ich hätte es geändert«, murmelt Tess den Tränen nahe. »Ich dachte, es hätte funktioniert. Sie waren doch frei. Cate, das bedeutet …«
»Ich weiß«, unterbreche ich sie und knie mich neben sie. Damit hat sich auch diese Prophezeiung so erfüllt wie vorhergesagt.
Aber darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich verbanne den Gedanken, um ihn mir für später aufzuheben. Jetzt muss ich erst einmal Tess helfen. Sie ist so klug, und sie war so vorsichtig, sie wird bestimmt nicht …
»Es tut mir leid. Es tut mir so leid«, sagt sie zu Mei.
Manchmal vergesse ich, dass sie gerade erst zwölf ist.
Mei begreift sofort. »Yang sagte, es wären Hexen gewesen, die die Häftlinge befreit haben. Warst du das? Hast du mir deswegen all diese Fragen darüber gestellt, wo sie festgehalten wurden?«
Tess nickt, und ich würde ihr am liebsten den Mund zuhalten, damit sie nicht von den Vorhersehungen erzählt, aber das wäre wahrscheinlich auch ziemlich auffällig. »Ich wollte doch nur helfen. Es war eiskalt da drinnen, und sie hatten bestimmt Hunger, und es war ein altes Schlachthaus .« Sie schnieft. »Was ist, wenn es durch mich erst passiert ist?«
Ich lache kurz. »Tess, du redest dummes Zeug. Du hättest es doch nicht wissen können.« Ich stehe auf und versuche, sie hochzuziehen, aber sie rührt sich nicht vom Fleck. »Du bist aufgebracht. Lass mich dich auf dein Zimmer bringen.«
Sie starrt aus dem vereisten Fenster. »Der Himmel war so grau wie jetzt, mit dicken, fetten Schneeflocken. So wie wenn ein Schneesturm anfängt – oder vielleicht auch aufhört. Ich habe den Himmel gestern gesehen und dachte: Jetzt. Das ist meine Gelegenheit. Ich kann die Dinge verändern. Es war überheblich von mir.«
Ich sehe nervös zu Mei hinüber. »Komm, Tess. Lass uns raufgehen.«
»Ich habe versagt.« Tess vergräbt das
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