Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Hause, daran, wie ich mit ihm Verstecken gespielt habe, als wir noch klein waren. Er gibt mir ein wohliges Gefühl.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt Paul. Er sieht furchtbar geschäftstüchtig aus mit seinem grauen Jackett, der grauen Weste und der grünen Krawatte. Ich nehme an, er weiß, dass sie zu seinen Augen passt. Paul hat schon immer viel auf sein Äußeres gehalten.
»Nein. Ähm … doch. Ich muss mich bei dir entschuldigen«, sage ich leise.
»Ja.« Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und sieht mich abwartend an. Er hat den Körper eines Sportlers – groß, mit breiten Schultern und einem kantigen Kinn –, doch die feinen, genauen Zeichnungen auf seinem Schreibtisch rufen mir ins Gedächtnis, dass er mehr ist als nur das. Er ist ein ehrgeiziger Mann, der sich eine vielversprechende Stelle in einem aussichtsreichen Beruf gesichert hat, noch dazu in einer sich im Aufschwung befindenden Stadt; ein Mann, der die schönen Dinge des Lebens zu schätzen weiß, wie seine neue Kutsche und seine teure Kleidung zeigen.
Paul wird einmal einen guten Ehemann abgeben. Für eine Frau, die ihn so liebt, wie er es verdient.
»Ich bereue meine Entscheidung nicht«, sage ich. Ich will wenigstens, was das angeht, ehrlich zu ihm sein. »Aber es ist alles ziemlich plötzlich passiert, und es tut mir leid, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, es dir persönlich zu sagen … dir zuerst eine Antwort zu geben. Deine Freundschaft … bedeutet mir sehr viel, und du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden.«
Ich gerate etwas ins Stocken, als ich es sehe – an der Wand neben der Tür hängen mehrere gerahmte Zeichnungen von einem großen Gebäude. Sind das die Pläne für Harwood? Es würde mich nicht überraschen, wenn Paul sein erstes wichtiges Projekt auf diese Weise präsentieren würde.
Paul reibt sich nachdenklich über das glatt rasierte Kinn; eine Angewohnheit aus der Zeit, als er noch einen Bart trug. »Was willst du hier, Cate? Ich meine in New London? Als ich um deine Hand anhielt, gefiel dir der Gedanke, in der Stadt zu leben, überhaupt nicht, und du warst auch nie besonders religiös.«
»Ich fühlte mich berufen?« Es klingt eher wie eine Frage als nach tiefer Überzeugung.
»Berufen vom Herrn?« Paul hebt die Augenbrauen. »Ich kann es verstehen, dass deine Schwestern ihre Ausbildung fortsetzen wollen, und angesichts der neuen Gesetze ist es der einzige Weg. Aber du warst noch nie besonders wissbegierig.«
Paul hat mich eben schon immer sehr gut gekannt; es ist schwierig, ihn anzulügen. Wie kann ich mich ihm glaubhaft erklären, ohne die Prophezeiung oder meine Verpflichtung der Schwesternschaft gegenüber zu erwähnen? Ich hätte mir das vorher gründlicher überlegen sollen. Natürlich will er eine plausible Erklärung, genau wie Finn eine wollte. Der Unterschied ist nur, dass Finn weiß, dass ich eine Hexe bin, und Paul eben nicht.
»Ich will Krankenschwester werden«, sage ich und zeige auf die Zeichnungen an der Wand. »Ich war mit Schwester Sophia in Harwood. Wir pflegen die Patientinnen und beten mit ihnen.«
»Du, eine Krankenschwester?« Paul verschluckt sich beinah vor Lachen. »Du würdest doch einem Mann mit gebrochenem Bein sagen, er solle aufhören zu jammern und wieder verschwinden. Du hast Krankenzimmer schon immer gehasst.«
»Ich habe das Krankenzimmer meiner Mutter gehasst«, korrigiere ich ihn. Ich merke, wie ich wütend auf ihn werde und versuche, es zu unterdrücken. Er kann ja nicht wissen, was für eine außerordentlich gute Krankenschwester ich durch meine Gabe in Heilmagie geworden bin. »Aber ich habe viel Zeit in Harwood verbracht. Ich kann auf diese Weise Gutes tun.«
Paul beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf den Tisch, wodurch ein paar der Zeichnungen zerknittern. »Hör zu, geht es um Belastra? Weil er der Bruderschaft beigetreten ist? Es kann doch kein Zufall sein, dass du tags darauf deine Absicht bekundet hast. Ich weiß, dass du Gefühle für ihn hattest, aber du kannst doch nicht …«
»Er hatte nichts damit zu tun«, lüge ich. Mein Blick fällt auf den schrägen Zeichentisch vor dem Fenster und den hohen Stuhl davor.
»Du hättest auch andere Möglichkeiten gehabt«, erklärt Paul.
»Nein.« Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, worauf er hinauswill. Ich muss ihm zuvorkommen, bevor er uns beide in Verlegenheit bringt und mich Dinge sagen lässt, die ihn bloß verletzen. »Hatte ich nicht.«
»Doch.« Mit zusammengebissenen Zähnen streicht er
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