Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
einen Mann hätte heiraten könnte, der an Harwood nichts Verkehrtes sieht.
Ich habe gar kein so schlechtes Gewissen wegen der Gedankenmagie, wie ich gedacht hätte.
Paul jammert gerade über den Termindruck beim Bau, als ich ihn scharf ansehe und ihn vergessen lasse, dass wir jemals über Harwood gesprochen und uns die Baupläne zusammen angesehen haben. Er zögert, mitten im Satz, und sein Tee schwappt ein bisschen über, als er die Tasse auf der blauen Untertasse absetzt.
»Ich sollte jetzt gehen. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast«, sage ich und erhebe mich aus meinem Sessel.
Er springt auf, um mir in den Umhang zu helfen. Seine Augen haben etwas von ihrem Glanz verloren; sein Mienenspiel besitzt nicht mehr die gleiche Lebendigkeit wie noch eine Minute zuvor. »Danke für deinen Besuch.«
Erinnert er sich noch an meine Entschuldigung?
»Bis bald.« Ich kann ihm nicht mehr in die Augen sehen.
»Bis bald, Cate«, sagt Paul, und der Klang seiner Stimme, die Hoffnungslosigkeit und Trauer, die darin mitschwingen, lässt mich annehmen, dass er sich zumindest daran noch erinnert.
Als ich wieder im Kloster ankomme, eile ich sofort zu Schwester Sophia. Sie hat gerade den Anatomieunterricht beendet, den ich für meinen Besuch bei Paul habe ausfallen lassen. Mei ist als einzige Schülerin noch im Raum und rollt ein paar Zeichnungen der menschlichen Muskulatur und der innenliegenden Organe zusammen.
»Da bist du ja, Cate. Wo warst du denn heute Morgen?«, fragt Sophia, während sie Bones, das Skelett, zurück in den Schrank schiebt.
»Ich war in der Stadt, um meinen Freund Paul zu besuchen, der an der Erweiterung von Harwood arbeitet. Und ich habe etwas Interessantes herausgefunden.« Ich berichte Sophia von Inez’ Vorhaben.
»Warum bist du damit denn nicht gleich zu mir gekommen?«, fragt sie mit geschürzten roten Lippen.
»Ich hatte wohl ein schlechtes Gewissen. Ich hätte schon viel früher erkennen sollen, worauf sie hinauswill«, gestehe ich.
»Das ist nicht deine Schuld.« Sophia stützt die Hände in die Hüften. »Sie weiß leider die Schwächen der Leute für sich auszunutzen. Deswegen sind so viele der Lehrerinnen auf ihrer Seite. Die meisten sind ihr irgendetwas schuldig.«
»Und was ist mit Ihnen?«, frage ich. Wenn, dann will ich es lieber gleich wissen.
Sophia weicht meinem Blick aus. »Ich bin es nicht mehr.«
Mei und ich sehen uns verwirrt an. »Nun, jetzt, da Sie es wissen, hoffe ich, dass Sie uns helfen werden.« Ich erkläre ihr, was wir in Harwood vorhaben, und während ich rede, fällt mein Blick auf die kleine Vitrine an der Wand. Darin befinden sich zwei Dutzend durchsichtige Glasflaschen mit Sophias getrockneten Kräutern und Naturheilmitteln. Da muss doch etwas Passendes dabei sein. »Wissen Sie, wie gemahlenes Opium aussieht? Ich brauche Kräuter, die als welches durchgehen könnten.«
»Ich gehe davon aus, dass du eine ganz schöne Menge davon brauchst, wenn du vorhast, das Opium im Laudanum durch Kräuter zu ersetzen.« Schwester Sophia geht zum Fensterbrett, auf dem vier Töpfe mit Kräutern stehen, die das schwache Dezemberlicht in sich aufsaugen. Sie spielt nachdenklich mit einem Stängel und sieht hinaus auf den Garten und die beschlagenen Fenster des Gewächshauses. »Rosenblattpulver sollte gehen. Die Struktur ist zwar nicht die gleiche, und der Geruch würde alles verraten, aber du wirst ihm ja eh einen anderen Anschein verleihen.«
Ich sehe Mei an, und mir fallen die dunklen Schatten unter ihren braunen Augen auf, die müden Linien um ihren Mund. »Willst du heute Nachmittag immer noch nach Harwood mitkommen?«, frage ich, und sie nickt, als sie die gerollten Zeichnungen hinter Bones im Schrank verstaut. »Gut. Dann kannst du Schmiere stehen, während ich in den Vorratsraum einbreche.«
Mei lächelt traurig. »Ich helfe gerne. Wenn es anders gelaufen wäre, dann könnten Li und Hua jetzt dort sein.«
Schwester Sophia sieht mich überrascht an. »Du willst es heute tun? Die Patientinnen können vielleicht innerhalb von ein paar Tagen ihre magischen Kräfte wiedererlangen, aber sie werden in schlechter Verfassung sein. Die meisten sind vom Opium abhängig; ihre Körper komplett zu entwöhnen wird Wochen dauern. Und in der Zwischenzeit wird es ihnen ziemlich schlecht gehen. Mal ganz abgesehen von den seelischen Nebenwirkungen …«
»Wir haben aber nicht wochenlang Zeit«, unterbreche ich sie. »Wir müssen sie bis Mittwochabend befreit haben, oder es wird
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