Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
herumzukommandieren.
Auch wenn das bedeutet, dass Maura sich mit jedem Tag etwas weiter von uns zu entfernen scheint.
Der Richmond Square Garden liegt neben der Kathedrale, direkt gegenüber dem Platz, auf dem die Bücherverbrennung stattgefunden hat. Der öffentliche Park ist zu dieser Jahreszeit noch weit davon entfernt, eine grüne Oase zu sein, wie es im Frühjahr oder im Sommer der Fall sein muss, aber trotzdem bietet er eine farbenfrohe Abwechslung zum Grau der Stadt. Die Rotahorne halten immer noch am Herbst fest und strecken ihre belaubten Finger der schwachen Sonne entgegen. Darunter protzen die Zaubernusssträucher mit ihren spinnenartigen gelben Blüten, während die Rosensträucher längst im Winterschlaf sind. Um uns herum tropft leise das Wasser von den Bäumen, das Eis des gestrigen Sturms fängt langsam an zu schmelzen. Heute ist es vergleichsweise mild.
Die Wege sind ziemlich matschig. Am anderen Ende des Parks springt ein kleiner Junge freudig mit beiden Beinen in eine Pfütze. Da entdecke ich Finn, der auf einer Marmorbank am Ententeich sitzt. Im Frühjahr ist der Park bestimmt voller Kinder, die die Vögel füttern und im flachen Wasser planschen, und Mütter, die sie ausschimpfen, aber heute treiben nur ein paar Enten ruhig über das braune Wasser.
Er hat uns noch nicht erblickt. Ich nutze die seltene Gelegenheit, ihn ungestört zu betrachten. Seine Nase steckt tief in einem Buch. Er vertreibt sich die Wartezeit mit Lesen und fühlt sich offenbar unbeobachtet. Seine dichten braunen Haare stehen ab, als wäre er sich schon ein halbes Dutzend Mal mit den Händen hindurchgefahren, und die Bartstoppeln am Kinn lassen erahnen, dass er die letzten ein oder zwei Tage vergessen hat, sich zu rasieren. Dann blickt er auf und entdeckt uns – mich – und lächelt, sodass seine Zahnlücke zum Vorschein kommt. Er steht auf, schiebt sich die Brille mit dem Zeigefinger die Nase hinauf und verstaut das Buch in seiner Tasche.
Ich will zu ihm rennen, mich ihm in die Arme werfen, aber Schwester Catherine sucht sich vorsichtig ihren Weg durch den matschigen Park.
»Du kennst ja bereits meine Schwester, Tess. Sie wollte dich gerne besser kennenlernen. Tess, das ist Finn.« Ich spüre ein Ziehen in der Magengegend, als mir bewusst wird, dass dies die beiden Menschen sind, die ich am meisten auf dieser Welt liebe. Ich möchte, dass sie einander bewundern.
»Guten Tag, Bruder Belastra«, sagt Tess schüchtern. Die Hände hat sie in ihren Umhangtaschen vergraben.
»Finn«, korrigiert er sie. »Bitte. Es freut mich, dich wiederzusehen, Tess.«
»Danke, dass du gekommen bist.« Ich bin es so gewöhnt, mich heimlich an verborgenen Plätzen mit ihm zu treffen – in der Buchhandlung seiner Mutter, unserem Garten zu Hause, dem Gewächshaus der Schwesternschaft –, dass ich seltsam verlegen und formell bin, jetzt, wo Tess dabei ist und uns die ganze Welt sehen kann.
»Ich bin auch sehr froh darüber.« Er kommt einen Schritt näher und senkt die Stimme. »Ich habe gehört, die Brüder haben das Kloster durchsucht. Ich dachte, du wärst dort sicher. Ich dachte, deswegen wärst du überhaupt nur da .«
»Es gibt keinen sicheren Ort mehr.« Ich muss an das Entsetzen in Hopes Stimme denken und blicke an Finn vorbei auf die sorglosen Enten. »Hast du irgendetwas über die verhafteten Mädchen gehört?«
»Eins ist gestern gestorben – das etwas minderbemittelte. Sie haben es gefoltert. Die anderen halten sicherlich auch nicht mehr lange durch. Sie werden Tag und Nacht befragt und bekommen weder Schlaf noch Essen und Trinken.« Tess rückt näher an mich heran, und Finn verzieht den Kirschmund zu einer finsteren Miene. »Tut mir leid, kanntet ihr das Mädchen aus dem Kloster?«
»Tess war mit ihr befreundet.« Ich würde gerne den Arm um sie legen, doch ich weiß, dass ihr das peinlich wäre. Sie kaut mit ihren perlweißen Schneidezähnen auf der Unterlippe herum, eine schlechte Angewohnheit, die sie von mir hat, und außerdem ein eindeutiges Zeichen für ihren Kummer. Ich wechsle das Thema: »Ich hoffe, es hat dir keine Umstände bereitet hierherzukommen?«
Finn zuckt mit den Schultern. »Ishida war damit einverstanden, dass ich nicht an der Ratssitzung teilnehme, damit ich meinen neuen Chef treffen kann. Und Denisof wird denken, dass ich den ganzen Nachmittag in der Sitzung war. Mich wird niemand vermissen.«
Ich grinse. »Soll das heißen, du hast die Stelle?«
»Ja, ich habe es gerade heute Morgen erfahren.«
Weitere Kostenlose Bücher