Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
waren sofort Feuer und Flamme, aber sie wollen bloß die Hexen befreien, und das scheint mir nicht richtig zu sein.«
Tess nickt grimmig. »Da stimme ich dir zu.«
»Ich denke, wir sollten versuchen, alle zu befreien, aber ich weiß nicht, wie. Die Mädchen stehen unter starkem Einfluss von Medikamenten, damit sie gefügig sind.« Ich wringe das Kleid über der leeren Waschschüssel aus. »Ich habe Angst, dass wir alles nur noch schlimmer machen. Aber vielleicht hat Maura recht – vielleicht ist es besser, ein Risiko einzugehen, als überhaupt nichts zu tun.«
Tess presst nachdenklich die Fingerspitzen gegeneinander. »War sie deshalb wütend?«
Ich wende das Kleid. »Nicht ganz. Sie will, dass ich beiseitetrete und ihr die Führung der Schwesternschaft überlasse. Ihr und Inez.«
»Und ist es auch das, was du willst?« Tess fährt die roten Quadrate auf ihrem karierten Rock nach. »Vielleicht ist es nicht besonders nett von mir, alle glauben zu lassen, du wärst die Seherin. Und Maura wütend auf dich sein zu lassen. Ich zögere doch nur das Unvermeidliche hinaus. Vielleicht sollte ich einfach allen sagen, dass ich es bin.«
Ich setze mich neben sie. »Bist du denn bereit dafür? Das ist eine gewaltige Verantwortung, Tess, und wenn du es erst einmal offenbart hast … na ja, dann kannst du es nicht mehr zurücknehmen. Mir macht es nichts aus, die Last noch eine Weile zu tragen.«
»Ich wünschte, ich wäre schon so weit, aber ich bin es nicht. Ich weiß nicht, ob ich es jemals sein werde«, erklärt Tess und seufzt. Für ein Mädchen ihres Alters ist es ein ziemlich niedergeschlagenes Seufzen. »Ich mache mir auch noch aus einem anderen Grund Gedanken, ob ich es schon sagen soll. Wenn Inez weiß, dass sie noch vier Jahre hat, bis ich volljährig werde, wer weiß, was sie in der Zeit anstellen wird?«
»Wenn sie jedoch denkt, dass sie in ein paar Monaten die Macht an mich abgeben muss, hält sie das vielleicht davon ab, etwas Unüberlegtes zu tun«, spinne ich den Gedanken weiter.
Es ist mir natürlich nicht entgangen, dass Inez mich in der Hand hat, weil sie über Finn Bescheid weiß. Ich hoffe nur, dass er die Informationen, die sie braucht, bald aufspürt, damit wir wieder frei von ihr sind. Oder wird es immer so weiter gehen? Wird sie als Nächstes etwas anderes verlangen? Die Sorgen reihen sich in meinem Kopf aneinander. Falls es so sein sollte, werde ich ihre Erinnerung an Finn auslöschen müssen.
Tess lehnt sich an mich. »Ich traue ihr nicht. Das ist keine Vorahnung, sondern einfach nur so ein Gefühl.«
»Mir geht es genauso, aber ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.« Ich lege ihr den Arm um die Schulter. »Soll ich so tun, als wäre ich die Seherin? Du könntest mir deine Vorhersehungen erzählen, und ich tue einfach so, als wären es meine.«
Tess kichert und stößt mit ihrem blonden Schopf gegen mein Kinn. »Das würde uns niemals gelingen. Es würde viel zu kompliziert werden, und du bist eine furchtbar schlechte Lügnerin.«
Ich rücke von ihr ab. »Bin ich nicht! Dir gegenüber vielleicht, aber …«
Tess tätschelt mein Knie. »Doch, bist du wirklich. Du denkst, du wärst überzeugend, aber das bist du nicht. Es würde niemals funktionieren. Wir müssen uns etwas anderes überlegen.«
Weiter überlegen, statt zu handeln. Langsam ärgert es mich, dass alles darauf hinausläuft, dass wir mehr Zeit brauchen. Zeit, die wir nicht haben.
»Jetzt guck doch nicht so. Wir werden schon eine Lösung finden.« Tess lächelt mich an. »Zusammen können wir alles schaffen.«
Ich muss eigentlich los zu Sachis Verhandlung, aber ich kann Tess nicht finden. Ich wollte ihr sagen, dass Schwester Sophia ihr erlaubt hat, am Montag mit nach Harwood zu kommen. Aber sie ist weder in ihrem Zimmer noch in der Bibliothek oder in der Küche. Ich laufe ins Wohnzimmer, wo Mei und Pearl eine Partie Schach spielen.
»Habt ihr Tess gesehen?«
Meis Haar fällt ihr als glatter, glänzend schwarzer Vorhang bis zur Hüfte hinab. »Sie kam vor einer halben Stunde herein und hat mich gefragt, ob ich etwas von meinen Schwestern gehört hätte. Sie schien sich Sorgen um sie zu machen, jetzt wo der Schnee kommt.«
Ich blicke aus dem Fenster. »Es schneit doch gar nicht.«
»Es sieht aber so aus, als könnte es jeden Moment anfangen«, sagt Pearl und schlingt ihr weiches lavendelfarbenes Schultertuch enger um sich.
»Da unten am Fluss muss es wirklich bitterkalt sein. Ich habe Yang Decken für sie mitgegeben.
Weitere Kostenlose Bücher